TERZ über ›Reise nach Rojava‹

UNRAST VERLAG Pressestimmen TERZ über ›Reise nach Rojava‹


»Vor kurzem ist die Revolution in Rojava im Nordosten Syriens zehn Jahre alt geworden. Aber eigentlich heißt das Gebiet nicht mehr Rojava, sondern trägt den etwas sperrigen Namen ›Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien‹. Es wurde umbenannt, um zu zeigen, dass es sich um eine multiethnische und multireligiöse Region handelt. Aber wer kann sich diesen Namen schon merken, also heißt es für die meisten weiterhin Rojava. Dabei bedeutet Rojava in der kurdischen Sprache nur Westen und bezieht sich auf die vier Himmelsrichtungen und die vier Länder, auf die das Gebiet der Kurd*innen aufgeteilt ist: Türkei, Iran, Irak und Syrien.

Mit dem Namen Rojava verbunden sind die heroischen Bilder vor allem der kurdischen Kämpferinnen, die mit der Waffe in der Hand und im Kampf gegen den IS gefilmt und fotografiert wurden. Und auch das war schon falsch, denn von Anfang an waren die Kämpfenden, die dem IS gegenüberstanden, in der Frauenmiliz YPJ und der Männermiliz YPG organisiert, die sich aus Kurd*innen, Araber*innen, Christ*innen und vielen anderen ethnischen Gruppen zusammensetzte. Weil das alles den meisten gar nicht bekannt ist, beschreibt die Autorin und Zeichnerin des Comics, Janet Biehl, am Anfang die Hintergründe und das Entstehen von Rojava.

Janet Biehl ist die langjährige Begleiterin von Murray Bookchin, der 2006 starb. Auf dessen Schriften bezieht sich das praktizierte Gesellschaftsmodell in Rojava. Schon frühzeitig entwickelte Bookchin die Theorie des Öko-Anarchismus sowie ein dezentrales, von Räten getragenes Gesellschaftsmodell. Nachdem seine Schriften in den 1980er und 90er Jahren in Deutschland eine gewisse Bekanntheit erhalten hatten, gerieten sie leider wieder in Vergessenheit (aber der Unrast Verlag hat zwei seiner lesenswerten Bücher wieder im Programm). Der langjährige Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, hat die Bücher von Bookchin im Gefängnis gelesen. Er entwickelte daraus ein Gesellschaftsmodell, das nun in Rojava zum Tragen kommt. Es war der Anfang von der Abkehr des Gedankens an einen kurdischen Nationalstaat und die Entwicklung eines autonomen Gesellschaftsmodells innerhalb von bestehenden Nationalstaatsgrenzen. Es soll letztendlich zur Überwindung des Nationalstaates führen, d. h. der Staat wird überflüssig und schafft sich selber ab. In dem entwickelten Modell sollen alle Ethnien und Religionen vereint werden und die gleichen Rechte (und Pflichten) haben. Frauen hatten und haben eine besondere Bedeutung, denn sie sind, so Öcalan, die Trägerinnen der Revolution. Und so sehen wir in Rojava eine Revolution, in der genau dieses Konzept ausprobiert wird. Frauen sind in allen Bereichen vertreten, die Führungen der Räte auf allen Ebenen sind paritätisch mit einem Mann und einer Frau besetzt. Innerhalb einer extrem kurzen Zeit wurden die gesellschaftlichen Verhältnisse in einer extrem patriarchalen Welt auf den Kopf gestellt. Janet Biehl beschreibt ausführlich und intensiv, wie dieses Modell der Räte funktioniert, aber auch, wo es noch hakt. Denn so schön eine Theorie ist, sie muss sich in der Praxis beweisen und entsprechend angepasst werden.

Biehl ist selber soziale Ökofeministin und legt im Buch einen Schwerpunkt auf die Frauen in Rojava. Sie interviewt viele und sehr unterschiedliche Frauen. Besonders interessieren sie die Entwicklung und Veränderungen, denn die beschriebene Reise ist bereits ihre dritte nach Rojava. […]

Reise nach Rojava ist wunderbares Comic-Buch, das sich alle zu Gemüte führen sollten, die sich eine andere Welt wünschen. Rojava steht für ein Gesellschaftsmodell, das für uns im Moment in weiter Ferne liegt. Und genau deshalb müssen wir Rojava verteidigen, denn dort findet eine reale Revolution statt, die für ein anderes Leben steht und uns allen eine Vision gibt.« – Mikel, TERZ 01. Februar 2023

Mehr…