»Die bürgerliche Kleinfamilie ist der Linken generell suspekt: Was als Keimzelle der Gesellschaft gilt, muss notwendigerweise die Spuren der kapitalistischen und patriarchalen Herrschaft tragen. Aber diese Kritik läuft auch Gefahr, bestehende Familien einfach auszuschließen und das verstärkt die Tendenz der Familie noch, sich in der vermeintlichen Privatheit abzuschotten. Eine linke Kritik an der Organisation dieser grundlegenden Sorgearbeit muss demnach die Problematik der familiären Privatsphäre herausarbeiten und zugleich emanzipatorische Perspektiven eröffnen. Das ist keine leichte Aufgabe, für die immer wieder um neue Ansätze gerungen wird. Wichtige Beiträge dazu haben im vergangenen Jahr zwei Bücher gebracht, die jene problematische Trennung von familiärer Privatheit und gesellschaftlicher Öffentlichkeit nicht nur analysieren, sondern sie beseitigen wollen: das Handbuch Feministische Perspektiven auf Elternschaft, herausgegeben von Lisa Yasdohara Haller und Alicia Schlender, sowie die bereits zweite Auflage des Sammelbands Links leben mit Kindern, herausgegeben von Almut Birken und Nicola Eschen. Wie es auf dem Buchrücken des Handbuchs bereits heißt, geht es dabei nicht um einen Kampf ›gegen die Familie, sondern gegen Verhältnisse, in denen das Leben mit Kindern zur Zumutung wird‹. Dabei ergänzen sich beide Bücher in gewisser Weise. Denn während das Handbuch mit zahlreichen Beiträgen einen durch sozialwissenschaftliche Diskussionen und Studien informierten Überblick über die Problemlagen von Elternschaft und familiärem Zusammenleben bietet, bleibt darin die Frage unbeantwortet, wie sich die zum Teil divergierenden Sichtweisen in einer feministischen Politik bündeln ließen. Von diesen Versuchen zur Überwindung der Kleinfamilie erzählt wiederum der Band Links leben mit Kindern.
Bloß keine spießige Kleinfamilie
Der Band von Birken und Eschen versammelt Erfahrungsberichte zu den unzähligen Spannungen und Krisen, die das Experimentieren im Zusammenleben mit Kindern hervorbringt: zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen verschiedenen Idealen, Erfahrungen und Biografien oder zwischen divergierenden Feminismen. Dabei handelt es sich bei vielen Schilderungen gerade nicht um Erfolgsgeschichten. Stattdessen finden sich Reflexionen über das Scheitern der verschiedenen Ansätze, nicht selten geprägt von Wut, Enttäuschung und Frustration. Insbesondere im Vergleich zum oben erwähnten Handbuch fällt der persönliche Ton mancher Beiträge auf. Sie lesen sich wie die Briefe von Bekannten oder Freund*innen, als ob die Schreibenden hoffen würden, wenigstens in Buchform die Grenze zwischen Eltern und restlicher Gesellschaft – oder wenigstens zur Linken – zu überwinden. Die Beiträge richten sich gegen einen linken Individualismus, der Kinder vernachlässigt und damit unfreiwillig die Kleinfamilie als ein Refugium attraktiv macht. Denn wenn Linke die Abschaffung der Kleinfamilie forderten, während konkrete Praktiken fehlen, wie die Fürsorge für Kinder anders organisiert werden kann, dann liefe diese Forderung ins Leere. Oder schlimmer noch: Sie würde zur einseitigen Forderung an die Eltern, sich um eine andere Form der Erziehung zu bemühen. Wer das nicht schaffe, gelte als spießig oder bürgerlich.
Eltern müssten also zwischen den verschiedenen Erziehungsangeboten wählen und dabei ebenso eigenen wie diffusen fremden Ansprüchen genügen. Damit werde aber Elternschaft auf eine individuelle Entscheidung reduziert – zwischen freiem und nicht so freiem (?) Kindergarten, zwischen Holzspielzeug und Plastik, vegetarischer Ernährung oder Bärchenwurst, zwischen Kinderkleidung in rosa oder neutralen Farben. Jede dieser Entscheidungen wiegt schwer, denn ›ein kleiner Mensch steht auf dem Spiel‹, wie es im Sammelband zugespitzt wird, und mit ihm auch das eigene gesellschaftliche Ansehen, mindestens in der linken Szene. […]
Insbesondere jene Beiträge im Sammelband, die vom Verlassen und Verlassenwerden berichten, verweisen dabei auf ein Problem: Wenn sich die Gemeinschaft auflöst und eine gesellschaftliche Linke von den Problemen der Eltern nichts wissen will, dann bleiben Eltern – und allermeistens Mütter – eingeschlossen in ihrem scheinbar privaten Raum der Fürsorge. Für diese Vereinzelung bietet die Gesellschaft zwar Vereinfachungen und Hilfen, doch für manche der Schreibenden erscheinen diese gesellschaftlichen Versprechen wie Zugeständnisse an den falschen Zustand der Gesellschaft, mit dem man sich ja eigentlich nicht gemein machen will. Ohne Gemeinschaft im Rücken gelte es dann, den gesellschaftlichen Verführungen zu widerstehen. Der Anspruch, die Welt zu verändern, verhärtet sich zum Ideal gegen die Wirklichkeit. Daher muss die Gefahr abgewehrt werden, ›selber in die Denkweise des Mein-eigenes-Leben/Glück-ist-mir-am-Wichtigsten zu verfallen‹, wie es im Sammelband heißt. Das Glück der Einzelnen darf aber nicht im Gegensatz zur gesellschaftlichen Veränderung geraten – denn woran kann sich eine Linke orientieren, wenn nicht am glücklichen Leben für alle?
Die Gefahr dieses Ideals der Elternschaft liegt darin, dass es suggeriert, die bestehenden Konflikte um die Vereinbarkeit von Elternschaft, politischem Engagement, Lohnarbeit und Teilhabe am öffentlichen Leben ließen sich bereits jetzt meistern. Stattdessen geraten diese jedoch permanent in Widerspruch. Denn als selbständige Person am öffentlichen Leben teilzunehmen, verlangt ja, dass Fürsorge im Privaten verbleibt. Die Veränderung dieser privaten Organisation von Fürsorge ist deshalb nur Teil einer größeren Veränderung eben jener gesellschaftlichen Verhältnisse, die eine Entscheidung zwischen Kind, Aktivismus, Lohnarbeit und vielem mehr überhaupt erst verlangen. Es muss also die Frage aufgeworfen werden, wie die Bedingungen für eine solidarische Praxis der Fürsorge auf gesellschaftlicher Ebene etabliert werden könnten. Denn die Erfahrungen des Scheiterns von Gemeinschaften verweisen auf die Grenzen dieses Ansatzes. Gemeinschaften können die jeweils eigenen Existenzbedingungen nicht gleichzeitig für alle zur Verfügung stellen, und auf diese verbleibenden blinden Flecke verweist das Handbuch. Beide Bücher sind in diesem Sinne wichtig, um an der Grenze zwischen Privatheit der Elternschaft und Öffentlichkeit zu arbeiten. Sie machen das öffentlich, was als privat gilt. So wird verständlich, dass es nicht zufällige Geschichten von einzelnen Eltern sind, sondern dass sie eine gemeinsame Erfahrung formulieren und mit der Formulierung dieser Erfahrung zugleich dazu beitragen wollen, dass sie sich verändert.« – Markus Henning, neues deutschland 26.08.2022