»›Dass die Texte und militanten Aktionen der Roten Zora heute in der linksradikalen Bewegung wieder diskutiert werden, wundert nicht‹, sagt der Münsteraner unrast-Verlag. Und er hat recht: Die Geschichte der radikalfeministischen militanten Roten Zora ist Gegenwart. Texte von gestern, (immer noch) aktuell für ein Heute jenseits der Herrschaftsverhältnisse. Mili bittet zum Tanz, oder: Auf den Spuren des militanten Feminismus der Roten Zora ist eine Wortergreifung. Aus guten Gründen. ›Denn so vorausschauend, wie die ›Zoras‹ [vor rund und mitunter mehr als 30 Jahren] in ihren Analysen auf Rassismus, Sexismus, globalen Kapitalismus und Kolonialismus blickten, ist es ein Leichtes, die Auseinandersetzungen aus dem damaligen Kontext ins Hier und Heute zu übertragen‹, schreibt der Verlag in seiner Ankündigung. 2022 sammelt der Band nun erstmals Texte der Roten Zora, Positionspapiere, Selbstverständigungen und spätere Mitschriften von Interviews. Er öffnet den Blick in konkrete, sowohl harte wie konstruktive Auseinandersetzungen um Widerstand, Militanz-Räume, Ermächtigungen und Widersprüche – bis zur letzten, im Wortsinne bekannten Aktion der Roten Zora: Am 24.7.1995 – als Anschlag gegen die Lürssen-Werft bei Bremen, gegen einen ›Rüstungslieferanten für das türkische Regime, das einen mörderischen Krieg gegen die KurdInnen führt‹, so das Bekennerinnenschreiben damals. Die Kämpfe der Aktivist*innen der Roten Zora gegen Militarismus, gegen ›Frauenunterdrückung und Ausbeutung‹ gingen Hand in Hand, damals schon seit knapp 20 Jahren als Ausdruck radikalfeministischen, militantem Widerstands.
Die verdeckt arbeitenden Revolutionären Zellen gibt es ab 1973, Frauen sind in ihnen erstmals 1975 sichtbar und ab 1977 wird – auch – der Name Rote Zora verwendet. Ab 1983 agiert die Rote Zora unabhängig von den Revolutionären Zellen. Die Rote Zora war in den Siebzigern und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts die bekannteste und wichtigste nur aus Frauen bestehende militant agierende Gruppierung im deutschsprachigen Raum. Ihr über 20 Jahre andauerndes Handeln richtete sich ausdrücklich gegen die patriarchale Unterdrückung von Frauen. In der Auswahl ihrer Ziele und in ihren damit verbundenen Texten, die in der Regel als ›Anschlagserklärungen‹ publiziert wurden, bewies die Gruppe ein erstaunliches Gespür. Sie thematisierte früh und konsequent Kolonialismus, Rassismus, und die negativen Aspekte vieler Technologien (vor allem Gen- und Reproduktionstechnologie, Computerisierung). So sind ihre Texte von damals auch heute noch lesenswert, nicht verstaubt, nicht überholt. Denn ihre Autor*innen bieten ein bemerkenswertes Analyseniveau und üben Selbstkritik. Sie denken über Militanz nach (›Gewalt gegen Sachen gibt es nicht‹) und über die Beschränkungen der eigenen Erfahrungsrahmens und Handelns. Nicht zuletzt treten sie deutlich für ein Denken ein, das heute ›intersektional‹ genannt wird.
Mili bittet zum Tanz fügt all dies heute als neue Publikation zusammen. Das Buch enthält neben weit mehr als 20 Anschlagserklärungen aus den Jahren 1975 bis 1995 (auf insgesamt 108 Seiten) auf weiteren 82 Seiten den langen Text der Broschüre ›Mili’s Tanz auf dem Eis‹ aus dem Dezember 1993 (erschienen Anfang 1994). In diesem blickt die Rote Zora auf ihre Geschichte zurück und diskutiert die dem Mauerfall 1989 folgenden Verwerfungen ebenso wie die seinerzeit beginnende Diskussion um Differenzen zwischen Frauen* oder auch zu unklaren Positionen und Versäumnissen der feministischen Bewegung, sich über Antisemitismus Gedanken zu machen.
Der Band hält aber auch aktuelle Zeitzeugnisse in ihrem Blick auf die eigene Bewegungsgeschichte fest. In Wortprotokollen, die dem dem Film ›Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora‹ (2019) entnommen wurden, blicken etwa zwei ehemalige ›Zoras‹ mit mehr als 30 Jahren Abstand auf ihre aktive Zeit in der Gruppe. Ein weiteres Kapitel ist eine Collage aus Stimmen dreier feministischer Zusammenhänge, in dem diese ihre heutige Lesart der Roten Zora und ihr aktuelles Verständnis von Militanz und widerständiger Politik dokumentieren.
Dieser Rückblick schlägt einen Bogen, der sich wie selbstverständlich liest. Denn selbst wenn die Rote Zora-Strukturen heute Geschichte sein mögen und ihre Texte von einst heute Anlass zu Rückblicken geben: sie stellen unsere Fragen von 2022. Anders und gleich.« – Bernd Hüttner, TERZ 6/2022