Volker Elste in der Bundschuh 2/2006:
‘Über den Film „Der Untergang“ von Bernd Eichinger wurde in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Das Buch „Filmri:ss“ von Willi Bischof untersucht verschiedene Aspekte des Films über die letzten Tage im Führerbunker.
Spöttisch kommentierte der „Independent“ den groß angekündigten Erkenntnisgewinn des Films „Der Untergang“: „Sagen sie über Hitler, was sie wollen: Er war nett zu seinen Sekretärinnen und liebte seinen Hund.“ Die „Libération“ sprach von „drei Stunden Horror“ und beantwortete die Frage, was der Film an Wissenswertem über das NS-Regime vermittle, mit einem prägnanten „Nichts.“
Die von Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Oliver Hirschbiegel im Vorfeld versprochene Aufklärungsfunktion ist jedoch nur ein Blickwinkel, mit dem sich die AutorInnen des Sammelbandes „Filmri:ss: Studien über den Film „Der Untergang““ von Willi Bischof kritisch auseinandersetzen. So wird beispielsweise der ebenfalls von Eichinger angeführte Objektivitätsanspruch als „erzählerischer Rückfall in einen in der Geschichtswissenschaft inzwischen längst überwundenen Historismus“ bezeichnet und ad absurdum geführt. Der zentrale Kritikpunkt ist jedoch die Weiterführung einer Geschichtsdeutung, die sich in den letzten Jahren mit Blick auf verschiedene Themen, wie beispielsweise Bombenkrieg und Vertreibung, mehr und mehr durchgesetzt hat. In „Der Untergang“ würden die Deutschen zwar nicht als Opfer alliierter Luftangriffe dargestellt, aber als Opfer einer kleinen Gruppe um Hitler und Goebbels. Diese habe nicht nur den Krieg begonnen und geführt, sondern sich letztendlich gegen das Überleben der Deutschen selbst entschieden.
Am Ende des Films radeln Hitlers ehemalige Sekretärin Traudl Jung und der HJ-Junge Peter gemeinsam in eine friedliche Nachkriegszeit. Sie sind dem Untergang entkommen, den Hitler für sie vorgesehen hatte. Erst später, so Jungs Stimme während des Abspanns, habe sie von den anderen Dingen erfahren, die passiert seien. Dies ist eine der wenigen Szenen, in denen die Shoa überhaupt erwähnt wird.
Verschiedene AutorInnen des Buches „Filmri:ss“ sehen hierin eine weitere große Schwäche des Films. Nicht nur werde der zentrale Bezugspunkt der NS-Zeit beinahe vollständig ausgeblendet, sondern auch die komplette Vorgeschichte der letzten Tage im Führerbunker: „Es ist revisionistisch“, urteilt Alexander Ruoff in seinem Beitrag, „den Untergang ins Jahr 1945 zu verlegen und ihn auf das deutsche System und die deutsche Zivilisation zu beziehen. Der Untergang war früher, er war spätestens im Januar 1933, als die nationalsozialistische Bewegung die Machtmittel in die Hand bekam, die Vernichtung der europäischen Juden zu organisieren, mit den rationalen Mitteln der Fabrik- und Transportorganisation.“
Nicht nur die Beiträge über die „Opferrolle der Deutschen“ machen „Filmri:ss“ zu einem interessanten Buch über einen Film, der von verschiedenen PolitikerInnen als idealer Lehrfilm für den Einsatz an Schulen bezeichnet wurde. Auch die Artikel über spezifisch filmische Fragen verdeutlichen, dass „Der Untergang“ glücklicherweise nicht den Oscar für den besten ausländischen Film erhalten hat.’