» […] Mesut Bayraktars Aydin – Erinnerung an ein verweigertes Leben rekonstruiert den Lebenslauf des Onkels des Autors. Mesut Bayraktar Rache funktioniert auf zwei Ebenen. Wie der Untertitel bereits sagt, geht es ihm um die Erinnerung an diejenigen, die unsere Gesellschaft an den Rand stellt – wobei im Falle seines Onkels Aydin der Rand bedeutet, dass er nach einem Gefängnisaufenthalt in Deutschland in die Türkei zurückgeführt wurde. Eine weitere Motivation findet Bayraktar in der Kanalisierung und (re)politisierung seiner Gefühle. So schreibt er: ›Ich war Gefangener meiner Wut, bis ich lernte, dass sie eine Gefährtin ist und mir schon immer aus dem Gefängnis der Ausbeutung helfen wollte. So fein, wie er die Ursprünge familiärer Wut durchdekliniert (›Impulse entladen sich als Nebenprodukt der Klassengewalt in Form von Gewalt gegen sich und ihresgleichen‹), so beschreibt er auch sein Verständnis von Literatur: ›Ich aber will jene zur Sprache kommen lassen, die in der Gewalt der Sprachlosigkeit gefangen gehalten werden‹ und ›Die Form muss sie vom Schweigen befreien‹.
Aydin durchzieht der Versuch, durch das Aufschreiben eigener Familiengeschichte eine selbstbestimmte Deutung geltend zu machen: Sein Onkel, der als Gastarbeiter für den Wohlstand ausgebeutet wird, für den sich menschlich in Deutschland niemand interessierte, der scheiterte, an einer Rolle, die ihm zugewiesen wurde. Der sich widersetzte und für diese Widersetzen bestraft wurde. Eine Deutung, die sich der Geschichtsschreibung der Herrschenden widersetzt. Bayraktars Prosa ist politisch im besten Sinne und straft jene Lügen, die glauben, zwischen politischem Schreiben und guter Literatur liege ein Widerspruch.« – Olivier David, David gegen Goliath, 07. April 2023