»Class Power! veranschaulicht das Londoner Politkollektiv Angry Workers seinen postautonomen Zugang zu Klassenpolitik. Im Gegensatz zu den bisherigen intellektuellen Produkten in diesem Bereich bleibt der Text nicht in der theoretischen Verortung oder Meta-Debatte stecken, sondern speist sich aus jahrelangen praktisch-politischen Bemühungen, Selbstorganisierung von Arbeiterinnen und Arbeitern nicht nur als eine radikale Aufforderung zu verstehen, sondern als den zentralen Vektor politischen Aktivismus. Die fehlende gesellschaftliche Verankerung der Linken im Alltag vieler Segmente der Arbeiterklasse haben die Angry Workers zum Anlass genommen, nach Greenford zu ziehen und dort politisch aktiv zu werden: ›Greenford gilt als kulturelle Einöde, irgendwo in der Zone 4 des Londoner U-Bahn-Systems gelegen.‹ Es fungiert zugleich als logistischer Knotenpunkt Londons, der für die Lebensmittelversorgung der Stadt von höchster Relevanz ist: 60 Prozent der Nahrung, die London konsumiert, werden dort in Fabriken verarbeitet und in Warenlagern verpackt. Diese Gleichzeitigkeit von potenzieller struktureller Stärke der Arbeiterinnen und ihrer Ausblendung auf der politischen Landkarte gibt es nicht nur in London.
Gerade deshalb sind die niedergeschriebenen Erfahrungen des Selbstorganisierungsprozesses der dortigen Arbeiter so wichtig für ähnliche Bestrebungen andernorts. Class Power! schildert dabei die Bildung von Betriebsgruppen, die Aufrechterhaltung eines Solidaritätsnetzwerks (und damit der Politisierung außerhalb von Betrieben) sowie die Herausgabe von Arbeiterzeitungen, die die Erfahrungen im Betrieb und auf dem Arbeitsamt dokumentieren. Die Orientierung an einem lokalen Kontext ist der Ausgangspunkt für das in Class Power! dargelegte Verständnis von Klassenpolitik: Erst wenn wir innerhalb der Klasse organisiert und in Arbeitskämpfen involviert sind (anstatt diese nur zu kommentieren), sind wir befähigt, die Fragen nach einer besseren und gerechteren Gesellschaft zu stellen. Class Power! dokumentiert in aller Ehrlichkeit diese Bestrebungen. Schwächen werden dabei nicht versteckt; selten konnte man bisher das Scheitern von Versuchen derart schonungslos mitverfolgen und als wertvollen Beitrag für ein zukünftiges Bessermachen erkennen. Dahinter steckt die Überzeugung, dass Linke ihre Schwächen und Fehler verstehen und analysieren müssen, um eine positive gesellschaftliche Veränderung überhaupt möglich zu machen. Das macht die Lektüre des 528 Seiten starken Texts besonders lohnend, denn er versteht sich auch als Kritik an gegenwärtigen linken Deutungseliten und deren Politikverständnis: Der Fokus auf das richtige Argument, die überzeugendsten Positionen und oftmals virtuell ausgetragene Debatten steigern höchstens den (symbolischen) Marktwert einzelner Personen, zu einer tatsächlichen positiven Veränderung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse tragen sie wenig bei. Solche Veränderungen passieren stattdessen, so das Autorenkollektiv, ›nicht infolge großer Reden, sondern durch die tägliche und wenig glamouröse Suche von Arbeiter*innen nach effektiven Kampfformen […] bei gleichzeitiger Diskussion der sich verschärfenden gesellschaftlichen Krise. Revolutionär können wir nur sein, wenn wir beide Prozesse genau verfolgen.‹« – Benjamin Herr, TAGEBUCH, nr. 6, 2022