»Dieses Buch sollte man lesen. Und danach sollte man mehr über die Russische Revolution lesen, vor allem mehr zu ihren ersten Jahren, zu ihren experimentellen Stadien, zu ihrer Vorgeschichte, zu denjenigen Partikeln von Hoffnung, die immer noch hinreichend dokumentiert sind und die in Bini Adamczaks Buch in der Depression einer Chronik des angekündigten Stalinismus verlorengehen. Es zeichnet die Nachgeschichte der russischen Revolution im Spinnengang durch die Geschichte auf.
Das Buch bewegt sich rückwärts und damit gelingt es ihm, die Verzweiflung, die diese Geschichte bedeutete und immer noch bedeutet bis zur Unerträglichkeit zu steigern. Zu Recht. Nachdem man nach 10 Seiten bereits von der Auslieferung kommunistischer, antifaschistischer und jüdischer Menschen durch den NKWD an die Gestapo 19939 gelesen hat, nach fünfzig von den Schauprozessen, die 1937 mit der Verordnung Nr. 00447 die Verhaftung von 332.400 Menschen anordneten, von denen 72.950 exekutiert werden sollten, nachdem man begriffen hat, dass sich hiernach die Kader gegenseitig überboten und noch weit mehr Menschen den Säuberungsprozessen zum Opfer fielen, nachdem diese irrationale Logik der Parteisäuberung bis Seite 100 zurückverfolgt wird, bis zu dem Zeitpunkt, an dem noch vor Lenins Tod im Januar 1924 über seine Einbalsamierung verhandelt wird, hofft man nun, auf den verbleibenden fünfzig Seiten, diejenigen wieder zu treffen, die man am Anfang des Buches beim Sterben begleiten musste, als aufrechte Kämpfer, als Sozialisten im Staidum des Experiments. Doch diese Hoffnung wird enttäuscht, denn die fast aussschließlich persönlichen, narrativen Quellen, die die Autorin heranzieht, erzählen auch am Beginn der Revolution vom verheerenden Scheitern. Das schmälert nicht die Berechtigung des Buches und auch nicht die erneute Aufforderung, es dringend zu lesen, aber es begräbt die Toten ein weiteres Mal. Nachdem die Revolutionäre des sozialistischen Experiments von Lenin ausgebootet, von Stalin exiliert und exekutiert und von der westlichen Geschichtsschreibung dämonisiert wurden, erscheinen sie nun als melancholische Gespenster, die ihre Gegenwart nicht ertragen, da sie ihrer Zukunft zum Opfer fielen. Zum Ende fehlt ›Gestern Morgen‹ oft eben der Materialismus, der die Toten nicht verloren gibt, um nicht noch einmal die Geschichte der grossen Männer zu schreiben.
Doch, man sollte das Buch lesen. Es ist beispiellos und notwendig in der gegenwärtigen Linken und schafft es, den Ton der Zitierten so in die eigene Erzählung einzubinden, dass ihnen immer Respekt und nur selten Verehrung zuteil wird. In der Vergangenheit eine neue Zukunft zu finden, das ist kaum Adamczak alleine zuzumuten.« Kerstin Stakemeier, testcard #17, Februar 2008