»Dass sie das Wegnehmen, Verstümmeln, Entziehen in der Erforschung des Tierverhaltens so heftig kritisiert, hat seine Berechtigung, wenn es um die Sicht des Ganzen geht. Da kann die Laborratte, die Hebel bedienen soll, nie und nimmer Aufschluss über das natürliche Rattenleben geben, wohl aber über Vorgänge im Gehirn unter stark vereinfachten Bedingungen. Solche aus dem Verhalten von Ratten an Müllhalden oder in der finsteren Welt der Kanalisation erschließen zu wollen, ist schlicht unmöglich. Beide haben ihre Berechtigung, die Forschungen am Detail und am Ganzen. Aber eine Berechtigung in der Fragestellung ist nicht gleichbedeutend mit Rechtfertigung der Vorgehensweise. Uns dies nahe zu bringen, darum geht es Vinciane Despret. Ihre Kritik richtet sich nicht grundsätzlich gegen die Erforschung des Tierverhaltens, sondern gegen ganz bestimmte Formen und Denkweisen, die damit verbunden sind. Ihre Beispiele erschrecken. Das sollen sie. Ihre Kritik ist konstruktiv gemeint, und daher willkommen. Sie liefert den Gegnern von Tierversuchen viel Munition. Sie wird aber heftigste Kritik aus jenen Kreisen der Tierforschung erhalten, die es angeht. Und sie hat sich vielleicht auch philosophisch zu weit auf (fach)fremdes Terrain begeben. Zuzustimmen ist ihr aber auf jeden Fall: Es geht darum, ›die richtigen Fragen zu stellen‹.« – Josef H. Reichholf, taz, 31. August 2019