»Antisemitismus und Geschlecht ist ein Buch, auf das viele wahrscheinlich schon lange gewartet haben. Da seit den 1990er Jahren Antisemitismus in feministischen und antirassistischen Kontexten verstärkt aufgegriffen wird und frühere Sichtweisen einer kritischen Diskussion unterzogen werden, ist es an der Zeit, Fragen nach den Verbindungen zwischen Antisemitismus, Sexismus, Rassismus und Heteronormativität zu stellen, nicht zuletzt deshalb, weil sie erst im Zusammenwirken ihre umfassende Wirkungsmacht erlangen. Mit dem interdisziplinär angelegten Sammelband, der auf den gleichnamigen Kongress in Berlin 2004 zurückgeht, greift das HerausgeberInnenkollektiv A.G. Gender Killer diese Diskussionen auf und macht deutlich, dass die Kritik am Antisemitismus nicht länger ohne die Kategorie Geschlecht auskommen kann. Die politische Intention ihrer Arbeit legt die A.G. Gender Killer ohne Zögern im Vorwort fest. „Mit dem Nationalsozialismus darf es keine Versöhnung geben.“
Ein einfacher wie gewichtiger Satz, der in den letzten Jahren kaum noch zu hören ist, da Wörter wie Versöhnung, Vergessen und Wiedergutmachung die öffentliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit prägen. Antisemitismus ist kein Phänomen der Vergangenheit und die Frage, wie Antisemitismus und Geschlecht einander bedingen, daher eine notwendige.
So unternimmt die A.G. Gender Killer in ihrem Artikel eine detaillierte Beschreibung antisemitischer und „arischer“ Körperbilder und erklärt deren Funktion im Nationalsozialismus. Illustriert ist der Artikel mit ebensolchen Bildern. Diese Entscheidung scheint allerdings dem Vorhaben der Anthologie zuwider zu laufen. Antisemitische Stereotypisierungen sind Teil einer Repräsentationspraxis, um Differenz herzustellen. Diese Differenz, die in der NS-Zeit zur Vertreibung und Ermordung von Juden und Jüdinnen führte, ist Teil des kollektiven Gedächtnisses und jederzeit abrufbar. Ihre erneute Abbildung führt nicht zur Dekonstruktion dieser Stereotypen, sondern zu ihrer Aufrechterhaltung, denn letztlich wissen wir nicht, ob der Text zu diesen Bildern gelesen wird.
Dem Versuch, Antisemitismus zu dekonstruieren, geht Bini Adamczak nach, indem sie die Intention queerer Politik, nämlich die Auflösung von heteronormativen Herrschaftsverhältnissen durch Taktiken der Subversion der Antisemitismuskritik gegenüberstellt. Klaus Hödl stellt eine Verbindung zwischen rassistischen Repräsentationen von Schwarzen Frauen und Juden/Jüdinnen in der Anthropologie her und zeigt, dass innerhalb dieser wissenschaftlichen Disziplin zwar Gegendiskurse existieren, diese aber erst in den letzten Jahrzehnten rezipiert werden. Ein Großteil der AutorInnen konzentriert sich auf die Kritik hegemonialer und damit antisemitischer, rassistischer und sexistischer Diskurse. Welche Auswirkungen der Antisemitismus auf das Judentum hat, beantwortet u.a. Christina von Braun.
Die Artikel beleuchten unterschiedliche Aspekte zu Antisemitismus und Geschlecht, ohne zu vergessen, wesentliche Begriff der Antisemitismuskritik zu erklären. Eine außergewöhnliche Publikation. Wir brauchen mehr davon!« – Rosa Reitsamer, Malmoe 31, Frühjahr 2006