graswurzelrevolution über ›Orient- und Islambilder‹

UNRAST VERLAG Pressestimmen graswurzelrevolution über ›Orient- und Islambilder‹

‘Zur Diskussion über herrschaftliches Denken in der Bundesrepublik bietet der unlängst von der Sozialwissenschaftlerin Iman Attia herausgegebene Sammelband »Orient- und IslamBilder: Inderdiszipline Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischem Rassismus« zahlreiche Anregungen. Das Werk stammt von WissenschaftlerInnen, die sich dem Thema ‚Islambilder’ aus dem Blickwinkel verschiedener Fachdisziplinen annähern. Siebzehn AutorInnen finden sich hier zusammen mit dem Ziel, in der Bundesrepublik eine herrschaftskritische Revision gesellschaftlich »dominanter Bilder und Diskurse« voranzutreiben.

Die Auseinandersetzung mit »Orient- und Islambildern« bietet LeserInnen die Chance, gesellschaftliche Diskurse (und Praxen) zu reflektieren. Das Ergebnis der verschiedenen Untersuchungen lautet: Das gesellschaftliche ‚Wissen’ über »den Orient« und »den Islam« ist eine Konstruktion. Denn beides – »den Orient« und »den Islam« – gibt es nicht, weder als Region noch als Kultur (Iman Attia, Orient- und Islambilder, S. 5). Die Folgen dieser Konstruktion sind jedoch überaus real, wenn Individuen das westliche Ideologieraster ‚orientalisch’ oder ‚islamisch’ übergestülpt wird und sie daraufhin mit gesellschaftlichen Ausschlussprozessen konfrontiert werden.

 

Orientalismus und Islam als Denkfigur

So zeichnet sich eine Verschränkung orientalisierender antimuslimischer Kulturrassismen mit Geschlechterdiskursen ab. Musliminnen gelten als Unterdrückte und Opfer, die eigentlich Opferschutz erhalten sollten, gleichzeitig erscheinen sie im Diskurs als Menschen, vor denen sich die Gesellschaft verwahren und insofern zum Schutz nichtmuslimischer MigrantInnen beitragen müsse. Ausschluss und Fürsorge bilden eine Doppelstrategie fortschreitender sozialer Normierung, die nicht die Grundrechte der Einzelnen (z.B. auf Selbstbestimmung) schützt, sondern die (angeblichen) Werte der Mehrheitsgesellschaft. Iman Attia attestiert an dieser Stelle eine gesellschaftliche Verschiebung von der Rechte– zur Wertediskussion (Attia 16), womöglich führt dieser Weg dann auch von einer ‚Rechtegesellschaft’ zur ‚Wertegesellschaft’. Dabei dient das konstruierte Bild von MuslimInnen sowie das Bild des Orients als kulturelle Selbstrepräsentation einer (imaginären) Mehrheitsgesellschaft, die eigentlich eine Herrschaftsgemeinschaft ist, welche sich auf Werte beruft (und daraus ihre Identität ableitet). Genau darauf läuft aus Sicht Attias die antimuslimische Variante des westlichen Kulturrassismus hinaus: Herrschaft statt Demokratie und eine Rekonstruktion »deutscher Werteordnung« (Attia ebd.) statt Pluralisierung und Innovation der Lebensformen. Im Gegenzug greifen manche Teile der über den Wertediskurs an den Rand geschobenen Minderheiten auf eben jene (vom Mehrheitsdiskurs) abgelehnten religiösen Symbole und konstruierten Identitätskonzepte zurück, um Ausgrenzungsstrategien und Diskriminierungserlebnisse zu neutralisieren (Attia 22). Das Tragen eines Kopftuches entspricht – entgegen häufig geäußerten Annahmen – dem Versuch, gegenüber den Normen der Mehrheitsgesellschaft eine eigenständige Biografie und selbstbewusste Identität zu entwerfen (Birgit Rommelspacher 250). Unter MuslimInnen wird mit Identitäten gespielt, es werden individuelle Repräsentationen entfaltet und soziale Codierungen umgestaltet, d.h. nichts ist so, wie es dem orientalisierenden Blick erscheint. Weil Herrschaftsdiskurse aber aufgrund ihrer strikten Vereinfachung von Wirklichkeiten besser überliefert werden können, bleibt auch die Vielfalt unspektakulärer Lebensweisen von Minderheiten in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert, die orientalisierende und antimuslimische Diskurse zu widerlegen imstande sind.

 

Kulturelle Essentialisierungen

Der herrschende westliche Mehrheitsdiskurs hat geschichtliche Vorläufer, die er bis heute widerspiegelt. Kennzeichen waren/sind essentialisierende (ein ‚Wesen’ behauptende) Repräsentationen des ‚Orients’ und ‚Islams’, die die Welt in ‚vertraut’, und ‚fremd’, in ‚zivilisiert’ und ‚archaisch’ und ähnliches aufteilen. Der westliche ‚Orientalismus’ bildet eine dualistische Logik, an deren Ende die ‚Anderen’ als imaginäres Gegenstück zum »abendländischen Selbst« fungieren (María do Mar Castro Varela / Nikita Dhawan 31 ff.). Dabei unterlag er einem historischem Wandel und seine Imaginationen waren jeweils mit »politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen und Entwicklungen« verbunden (Nina Berman 71) und aus entsprechenden Motiven gewoben. Hinzu kamen und kommen christlich-religiöse Machtmotive. Das vom Christentum geprägte Mittelalter disqualifizierte mit seinem religiösen Allwahrheitsanspruch MuslimInnen als NichtchristInnen, d.i. AnhängerInnen eines Irrglaubens. Um Ängste zu erzeugen, wurden MuslimInnen als Vorboten der biblischen Apokalypse uminterpretiert (Almut Höfert, 88 u. 90). Ab dem 13. Jahrhundert galten MuslimInnen, weil sie sich der christlichen Missionsstrategie und dem Gedanken der göttlichen Abstammung Christi verweigerten, als ‚irrational’, weil sie angeblich nichts von spirituellen Konzepten verstanden (Höfert 97). Im Zusammenhang mit der Säkularisierung durch allmähliche Aufklärung (im Sinne einer Suchbewegung in Richtung auf menschliche Mündigkeit) und des damit verwobenen »Weltererfassungsschwungs« des 18. Jahrhunderts mit seiner Bandbreite von bewaffnetem Handel und Eroberung bis hin zu Revolution und Imperialismus entwickelte der Orientalismus eine Nähe zu »Rasse-« und Geschlechtskonzepten (Jürgen Krämer 116 u. 125, auch Sybille Bauriedl 148 f.).

 

Unaufgeklärte Aufklärung

Sprache ist nicht nur realitäts-reproduzierend, sondern sie konstruiert Wirklichkeiten durch Zuschreibungen. Orientalismus bedeutet, dass bestimmten Bevölkerungen eine bestimmte Vorstellung von ‚Kultur’ als ihnen wesenshaft zueigen und identitätsprägend zugeschrieben wird. Menschen werden zu TrägerInnen dieser ‚kulturellen’ Wesenheit stilisiert, »als würde diese Kultur in ihnen genetisch verankert sein und ihr Sein und ihr ‚Wesen’ bestimmen« (Reinhard Schulze 49). Dabei werden die dazugehörigen Eigenschaftszuschreibungen gewertet und Kulturen selbst als typologisch und in Abgrenzung voneinander definiert. Dabei werden Komplexitäten und Widersprüche, die Vielfalt von Individualisierungen und sowie der Lebens- und Denkweisen unter einen Teppich der Generalisierung gekehrt, bis keine Falten mehr entstehen. Vereinfachung bedeutet gedankliche Entlastung und diese Art der Entlastung von kritischen Überlegungen ging sogar mit der Aufklärung einher, indem diese einst die Welt in die ‚aufgeklärten Universalisten’ und die ‚partikularen Unterentwickelten’ unterschied, ein Unterschied, der »mehr und mehr zugunsten einer prinzipiellen Unterscheidung zwischen dem ‚Okzident’ und dem ‚Orient’ aufgegeben« wurde (Schulze 51). In Hegels Geschichtskonzeption eines Menschheitsgeistes, der sich selbst zur Welt bringt, wurde ‚islamischer Kultur’ (die durch Theozentrik, Politikdefizit und Subjektivitätsmangel gekennzeichnet sei) eine Unfähigkeit zu entsprechend eigenständiger Geschichtswirksamkeit zugeschrieben (Krämer 124). Am Beispiel seiner Untersuchungen zur westlichen Denkfigur der ‚orientalischen Despotie’, die zwar widerlegt sei aber nach wie vor in den Köpfen spuke, kommt er zu dem Schluss: »Der wider besseres Wissen fortbestehende Orientalismus als Ausdruck eurozentrischer Definitionsmacht in der Welt funktioniert zugleich als historiografische Prämisse und konstruiert somit unhinterfragt weiter im und am erhebenden Selbstbild weißer Superiorität und leitkultureller Herrschaftslegitimationen« (Krämer 128).
Und was sich einst als Teil kolonialherrschaftlicher Weltanschauung[1] nach außen richtete, wirkt bis in gegenwärtige Betrachtungen hinein und bewirkt beispielsweise ein massives Misstrauen in die demokratischen Fähigkeiten von MuslimInnen. Die Vergangenheit ist für die Analyse der Gegenwart also nicht bedeutungslos, insofern unhinterfragte orientalisierende Gedankenkonstrukte den heutigen Umgang mit MuslimInnen mitbestimmen.

 

Nicht-herrschaftliche Wissensformen

Die koloniale und postkoloniale Konstruktion von ‚Wissen’ im Rahmen des Orientalismus wirft die Frage auf nach nicht-herrschaftlichen Wissensformen, die es zu schaffen gilt. Orientalismus als eurozentrisches Konstrukt bietet einen mit Klischees und Abwertungen prall gefüllten Assoziationsraum, auf den die bundesrepublikanischen Medien nicht verzichten (Pflitsch 178, Stanislawa Paulus 279 ff.), weil sich mit seinen Parametern leitkulturelle (westeuropäische) Geltungsansprüche markieren und legitimieren lassen. Ein Assoziationseffekt ist der disqualifizierende Umgang mit muslimischen Teilen der Bevölkerung (Rolf Cantzen 267 ff.). Mit anderen Worten: Traditionelle Herrschaftsstrategien schlagen sich im Hier und Heute nieder. Dem entgegenzuwirken bedeutet auch, Denkschubladen zu ergründen. Hierzu leistet das beim Unrast erschienene Buch »Orient- und IslamBilder« einen vielseitigen, beeindruckenden und sehr bedeutsamen Beitrag.

 

 

Anmerkung

1 Westliche Klischees, kulturelle Zuschreibungen und Homogenisierungen äußerten sich bevorzugt als Exotisierungen (Schulze 56; Andreas Pflitsch 167 ff., Karin Rhein 189, Verena Paulus 211 ff.) oder als Disqualifizierung (Margret Spohn 165, zu Karl May vgl. Berman 205). In Teilen der Frauenreiseliteratur wurde die ‚Orientalin’ als Projektionsfläche einer Auseinandersetzung mit der eigengeschlechtlichen Prägung sowie als Erfahrungsraum für existenzielle Selbstspiegelung und Selbsterprobung entworfen (Natascha Ueckmann 235 ff.). Hier wie dort erfolgte eine Sicht der Dinge, die an spezifischen Bedürfnissen ausgerichtet war (zu gegenwärtigen Versuchen in der Kunst, mit kulturalisierenden Vorstellungen zu brechen vgl. Alexandra Karentzos 295 ff.). Dekonstruktionsbedarf ergibt sich auch bei Raumkonstruktionen ‚der islamischen Welt’, denn je nach Ausrichtungskriterium einer geografischer Karte werden politische Definitionen abgegeben und »Identitäten territorialisiert« (Bauriedl 142), was eine Fortschreibung kulturell-räumlicher Homogenisierungen darstellt.’ – Ralf Burnicki, graswurzelrevolution 328, 4 / 2008