Ganz Chiapas fürs Regal

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Buchbesprechung

Luz Kerkeling: La Lucha sigue – Der Kampf geht weiter

‘Otro poco de calma, camarada; […] al servicio menor de cada triunfo
y en la audaz servidumbre del fracaso’
Cesar Vallejo

Man sollte sich nicht gar zu sehr wundern, wenn Solidaritätsarbeit für die mexikanischen Zapatistas von manchen Genossen misstrauisch beäugt wird.
‘Hoch die internationale Solidarität!’ war Ende der achtziger Jahre die meistveralberte Parole des politischen Protestes.
‘Hoch die internationale Kriminalität!’ wurde entnervt zur anderen Seite des Zuges hinübergebrüllt, wenn der kommunistische Block, umflattert von roten Fahnen und – samt seiner Parolen – sichtlich gealtert, wieder einmal sein Liedlein anstimmte; oder, diskursiv wertvoller, gelegentlich ein belehrendes ‘Hoch die antinationale Solidarität’ – zur inneren Einkehr. Auf nahezu jeder Großdemo sprang ein neckisches, gar nicht sehnsuchtsvolles Sprüche-Echo durch den Abgrund zwischen den Bezugsgruppen. Mit ‘Hoch die internationale Kinderschokolade!’ war es um den alten, grenzüberschreitenden Anspruch, zumindest aber um dessen Ernsthaftigkeit, dann endgültig geschehen…
Internationale Solidarität ist seither aus der Mode gekommen. Die verbliebenen Gruppen und Organisationen werkeln meist still vor sich hin. Es macht in libertären Kreisen scheint’s nachgerade verdächtig, sich allzu sehr mit Bewegungen und Entwicklungen ferner Länder und deren widerständischen Hoffnungen zu befassen. Misstrauisch wird jedes Wort beschnuppert, ob sich hinter ihm nicht eine unzulässige ‘Romantisierung’ verberge, ein Bataillon überaus männlicher ‘Waffenverherrlichung’ aufmarschiere oder der ganze Trarah ein listig getarnter Spendenaufruf sei, um wieder einmal – ganz konkret – Waffen nach El Salvador zu schaffen.
Dabei krankte der unverzichtbare Blick über den europäischen Tellerrand in den sechziger und siebziger Jahren lediglich an chronisch-dogmatischer Kurzsichtigkeit. Die ‘internationale Solidarität’ war oft kaum mehr als ein ideologisches Export-Unternehmen, das sich, was die betroffenen Länder anging, vor allem durch Ahnungslosigkeit hervortat. Nur mit Grausen erinnert man sich, daß einmal die Blutsäufer des peruanischen Sendero Luminoso [´Leuchtender Pfad´] in mancher linken Hinterhofgruppe salonfähig waren: es waren ja artig linientreue Leninisten. Flugs wurden so das Knallen der Schüsse und die Schreie der Bevölkerung zur Ouvertüre einer großen Symphonie der Befreiung – dirigiert im Zigarettenqualm der Kneipenhinterzimmer, weit, weit weg vom Kriegsschauplatz. Das Erwachen war für die meisten solidarischen Aktivistinnen und Aktivisten von damals bitter.
Und plötzlich soll mit den Zapatistas alles anders sein? Nun: nicht alles – aber vieles.

Altes, neues Chiapas
Das Buch des Soziologen und Aktivisten Luz Kerkeling ‘!La lucha sigue! [Der Kampf geht weiter!]. EZLN – Ursachen und Entwicklungen des zapatistischen Aufstandes’, im April 2003 beim Unrast-Verlag in gewohnt ansprechender Herrichtung und mit zahlreichen Grafiken, Karten und Fotos erschienen, ist in jeder Hinsicht vorbildlich. Kerkeling dürfte, neben Kollegen wie Boris Kanzleiter oder Ulrich Brandt, mittlerweile zu den besten deutschsprachigen Kennern Mexikos und des zapatistischen Aufstandes gehören. Er arbeitete gleich mehrfach als Menschenrechtsbeobachter in Chiapas, hält ständigen Kontakt zu Menschenrechtsorganisationen und politischen Gruppierungen überall im Land und ist regelmäßiger Besucher der südlichen Provinzen. Unangestrengt hält seine Arbeit die Balance zwischen eindeutiger politischer Stellungnahme und wissenschaftlicher Redlichkeit. Daß Kerkeling den Großteil der vor allem an der EZLN und ihrem Sprecher Subcomandante Marcos in Europa geäußerten Kritik nicht teilt, hat Gründe, und diese werden ruhig und sachlich dargelegt – nach einer angemessenen Würdigung kritischer Positionen. Nichts wird verwischt, beiseitegesprochen oder mit dicken Worten der politischen Verdammnis anheim gegeben. Ebensowenig allerdings drängelt sich ein akademischer Besserwisser vor, der mit Kreide staubt. Kerkeling versteht sich bei seiner Arbeit nicht als Lehrer, sondern als Schüler; ein kritischer Dokumentarist der Ereignisse von Chiapas, die 1994 eine so dramatische Wendung nahmen und der Welt seither eine der vielleicht ungewöhnlichsten und faszinierendsten Widerstandsbewegungen der letzten 50 Jahre beschert haben.

Indianerland ist ´Niemandsland´
Sachliche und politische Aufrichtigkeit sind nur eine Stärke des Buches. ‘!La lucha sigue!’ ist wissenschaftliches Handwerkzeug erster Güte: es taugt fast ebenso gut als Nachschlagewerk und bietet neue und mitunter wegweisende Ansätze. Kerkeling kontextualisiert z.B. den Aufstand der Zapatistas erstmals umfassend mit der wechselvollen, blutigen und verwickelten Geschichte Mexikos – mit dessen revolutionärer Geschichte vor allem. So weist er unter anderem nach, daß schon Porfirio Diaz, seines Zeichens Diktator im vorrevolutionären Mexiko – ein lamettabehängter Großmogul, der, selber Mestize, Indianer für wenig mehr als Ungeziefer ansah und, nachdem er einen der zahllosen Aufstände gegen seine Herrschaft zusammenschießen ließ, geseufzt haben soll: ‘Gott sei dank, ich kann noch töten!’ – die Vernichtung indigener Sozialstrukturen für unverzichtbar hielt: ‘Fortschritt hieß für Porfirio Diaz vor allem die Zerstörung der kollektiven indianischen Landbesitzformen, die Kolonisierung des indianischen ´Niemandslandes´ durch exportorientierte Plantagen und Haciendas sowie die Ansiedlung von Europäern und Nordamerikanern’ (S.97). Heute feiert diese rassistische Politik in diversen Freihandelsabkommen, vor allem aber mit dem neuen Präsidenten Vincente Fox und dessen Plan Puebla-Panama (PPP) fröhliche Urstände. Im Rahmen einer monströsen, von der Weltbank stürmisch gefeierten neoliberalen Umgestaltung des Landes sollen noch einmal die ewig marginalisierten Indíginas dem ‘Fortschritt’ weichen: ‘Im Biosphärenreservat Montes Azules im Lakandonischen Urwald steht die ´Umsiedlung´ von über 30 Gemeinden bevor […]. Zynischerweise schiebt die Regierung Umweltschutzgründe vor, um die Menschen zu vertreiben, da ihre Lebensweise den Regenwald zerstöre. Tatsächlich gibt es jedoch Pläne, dieses Gebiet zu privatisieren, und große Pharmakonzerne wie der Schweizer Multi Novartis haben bereits großes Interesse angemeldet’ (S.89).
Henry Kissinger war schon Mitte der neunziger Jahre der Ansicht, die größte Gefahr für die Vorherrschaft der westlichen Welt (genauer: der weißen Rasse) und ein reibungsloses Funktionieren des Kapitalismus werde zukünftig nicht von staatlichen Akteuren, sondern von der Selbstorganisation indigener Bevölkerungsgruppen ausgehen. Eine Anerkennung auch nur der grundlegendsten Rechte auf Land, Unversehrtheit und politische Selbstbestimmung müsse den Industrienationen unweigerlich den Zugriff auf wertvolle Rohstoffe entziehen und ihre Politik behindern. Eben dieser Kampf um indigene Rechte ist eine der Grundkonstanten des zapatistischen Aufstandes – und ihre Verweigerung eine Konstante mexikanischer Politik seit über 150 Jahre. ‘Als die Führung der Zapatistischen Guerilla [2001] ihren Marsch in die Hauptstadt antrat, um für das ´Gesetz für indigene Rechte und Kultur´ einzutreten, drohte der Mexikanische Unternehmerverband Coparmex, den PPP platzen zu lassen, falls die Regierung auf die Forderungen der Zapatistas eingehe. Die Unternehmen fürchten die Autonomie der indigenen Gemeinden’ (S.88).

Leben in den autonomen Gemeinden
Die basisdemokratischen Strukturen der indigenen Gemeinden spielen für die EZLN aber noch eine andere Rolle…

Neben der systematischen und gründlichen historischen Aufarbeitung des Konflikts in Chiapas und einer detaillierten Vorstellung seiner wichtigsten Akteure ist die Schilderung des gesellschaftlichen ‘Ist’-Zustandes, vor allem Kerkelings kenntnisreiche Darstellung des Lebens in den autonomen zapatistischen Gemeinden, die größte Stärke des Buches. Daß Kerkeling selber in den Comunidades gelebt und gearbeitet hat, bereichert seine Schilderungen ungemein und wird wiederum nirgends zum Freibrief für unangebrachte Schwärmerei. In den zapatistischen Gemeinden, die ständig von Übergriffen durch Militär und guardias blancas (rechte Paramilitärs) bedroht sind, wird der großangelegte Versuch unternommen, ‘indigene Rechte und Kultur’ nicht mehr bloß erkämpfen zu wollen, sondern wahrzunehmen und in Taten umzusetzen. Daß die Veränderungen, die sich daraus für das gesellschaftliche Leben, die Frage des Grundbesitzes oder die politische Entscheidungsfindung ergeben, im reinsten Wortsinn revolutionär sind, macht diese Entwicklung bei der mexikanischen Nomenklatura nicht beliebt. Daß sie sich in den weltweiten Protest gegen die absolute Herrschaft der Märkte über die Menschen nahtlos einreiht, macht sie für die Kissingers dieser Welt gefährlich…
Die EZLN, die 1994 mit dem Angriff auf chiapanekische Städte diesen revolutionären Prozess auslöste, hat sich von Anfang an den Entscheidungen auf Dorfebene untergeordnet.
Auch die – für eine bewaffnete Guerilla doch gewiß interessante – Frage, ob und wann gekämpft werde und wann nicht, trifft nicht die militärische Führung, sondern die Bevölkerung. An der EZLN ist nichts vom alten Avantgarde-Gehabe früherer Guerillas. Das freilich war nicht immer so:
Fast schon erheiternd liest sich Kerkelings Schilderung des in jeder Hinsicht steilen und steinigen Weges, den in den siebziger Jahren ein Grüpplein versprengter Universitätslinker, umflort von der Weisheit Maos und Che Guevaras, in der Selva Lacandona, dem zentralen Bergwald von Chiapas, zurücklegen mußte. Die EZLN und ihr in jeder Hinsicht einmaliges politisches Selbstverständnis entstanden nicht im akademischen Setzkasten, sondern aus der Konfrontation dieser studentischen, städtischen ‘Guerilleros’, noch ganz dem rasselnden Wortgewicht marxistisch-leninistischer Revolutionstheorie zugetan, mit den uralten Prozessen der Entscheidungsfindung in den Dörfern der Einheimischen; oder, etwas schlichter ausgedrückt: mit der Wirklichkeit. Die Verständigung war, berichtet auch Subcomandante Marcos, zunächst alles andere als einfach. In 14 Jahren aber hätten er und seine Genossen ‘zuhören gelernt’. Das ist, mal Hand auf´s Herz, für Linke eine erstaunlich kurze Zeit…
Kerkelings Buch ist eine durch und durch erfreuliche Erscheinung: kenntnisreich, genau, verständlich, lehrreich, gleichermaßen als politische Analyse, internationales Lexikon, Globalisierungskritik und kritisches Reisebuch zu verwenden. Laien biete es einen umfassenden und grundsoliden Einstieg ins Thema – vielleicht den solidesten und umfassendsten, der momentan zu haben ist -, den Informierteren eröffnen sich neue und anregende Zusammenhänge. Und die arme, vielgeschmähte ‘internationalen Solidarität’ ? Vielleicht verschaffen Bücher wie ‘La lucha sigue!’ ihr dereinst ein neues Leben – jenseits der Parolen.
Joseph Steinbeiß

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 285, Januar 2004, www.graswurzel.net

Luz Kerkeling: La Lucha sigue – Der Kampf geht weiter