»Die Schnittpunkte von race relations, Geschlechter- und Klassenverhältnissen ziehen sich – ganz so, wie sie den gesellschaftlichen und politischen Alltag im Land durchdringen – durch die ersten fünf Jahre des Blogs der Soziologin Tunay Önder und des Soziologen Imad Mustafa, der 2013 für den Grimme Online Award nominiert war und hier zum Buch kompiliert wurde. (…)
Die namentlich nicht gekennzeichneten Alltagsbeobachtungen von Önder und Mustafa spüren, wie die eingestreuten Gastbeiträge, im kleinen Alltags-Wahn den großen Sinn auf: dass alles so bleibe wie es ist. In Form, Länge und Duktus stark verschieden, sind nachdenklich stimmende Texte darunter, auch regelrechte Schläge in die Magengrube; Wortspiele und kurzweilige Text-Bild-Kombinationen, darunter so bestechende wie ein in den Text tränendes ›ain’tegration‹; Interviews, Buch- und Musikkritiken. Die meisten Beiträge stellen den ominösen ›Migrationshintergrund‹ in den Vordergrund des Textgeschehens. Es gibt Relexionen über den Genozid am tscherkessischen Volk und über die Olympischen Winterspiele, die Russland auf demselben Boden ausgerichtet hat, über Gastarbeit und Sprache, die Frage, was das ›Politische‹ am ›politischen Islam‹ sei, und die Antwort darauf – nichts. (…)
Dass sich Mustafa/Önder konsequent einer essenzialisierenden Identitätspolitik genauso verweigern wie dem allzu jovialen ›Wir sind alle links und also antirassistisch‹, ist deshalb so erfreulich, weil sie vorschnell hergestellte Interessenidentitäten nicht zulassen. Eine intersektionale Praxis, die Kapitalismus-, Sexismus- und Rassismuskritik nicht hierarchisch, sondern zusammendenkt, braucht genau solche Impulse, wenn sie die Lähmungen unseres ›postdemokratischen‹ Zeitalters überwinden will.« Koray Yılmaz-Günay, Das Argument 319, 2016