»Über den Kommunismus reden kann heute nur kindisch sein – so sagt der common-sense vermutlich. Bini Adamczaks Antwort darauf ist einfach: vom Kommunismus tatsächlich in Form einer Kindergeschichte erzählen.
Ein Märchen als theoretisch-praktischer Einsatz? Freilich, die Erzählung wird um einen theoretischen Epilog ergänzt; vor allem aber ist auch die ‚märchenhafte’ Form selbst ein gezielter theoriepolitischer Schachzug – und nicht ‚nur’ Märchen. Denn, so die Autorin im Nachwort, es gelte in der gegenwärtigen historischen Situation, „organische Bausätze des Verlangens“ (S. 60) zu basteln, und das fordere eine adäquate sprachliche Form. Das Wünschen aus der eingefahrenen Mühle des Sachzwangs befreien, und so überhaupt ein kommunistisches Begehren erst wieder anstacheln – das ist die Stoßrichtung.
Und so führt das Märchen unbeschwert durch die Untiefen der Kritik der politischen Ökonomie. Zuerst wird gefragt, was denn der Kapitalismus überhaupt ist, dann wird der Stellenwert der Arbeit und des Marktes im Kapitalismus geschildert, und schließlich landen die Protagonistinnen in der kapitalistischen Krise. „‚Na, das war ja nichts’, denken sie sich. ‚Erst hat uns der Kapitalismus ganz unglücklich gemacht und dann ist er auch noch ständig schief gegangen.’“ (S. 29f.) Schmunzelnd begleitet mensch die Figuren bei ihrer Abkehr vom Kapitalismus – und ihrem Versuch, den Kommunismus zu verwirklichen. Ohne die übliche, schon beinahe theologische Ehrfurcht vor der Verbildlichung des Utopischen werden verschiedene Anstrengungen, den Kommunismus zu machen, unverblümt ausgemalt. Vom Umverteilungsansatz über anarchistische Arbeitsutopien bis hin zu einer Gesellschaft ganz ohne Arbeit werden unterschiedliche Möglichkeiten durchgespielt (S. 32ff.). Jedes einzelne Experiment hat sein reales Vorbild in bestimmten utopischen Bildern je spezifischer emanzipatorischer Bewegungen. Und jede Utopie hat mit ihren je eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Dem Text gelingt es mit seiner bilderreichen Sprache, selbst noch für das philosophische Kernstück der Marxschen Kritik – den Waren-Fetischismus – eine einleuchtende Metapher zu finden. Den Begriff ‚Fetisch’ beim Wort genommen wird die Verselbständigung gesellschaftlicher Herrschaft in apersonale Strukturen ganz einfach veranschaulicht: an der scheinbaren Magie des Gläserrückens (S. 9f.). Allerdings fordert das Genre auch seinen Preis: die Ursache für den Sturz des Kapitalismus wird kurzerhand – ganz ökonomistisch – in der kapitalistischen Krise ausgemacht.
Im Anschluss an das Märchen folgt eine dichte theoretische Reflexion auf die gegenwärtige historische Situation und die ihr angemessene theoriepolitische Antwort. Im Angesicht scheinbar übermächtiger gesellschaftlicher Verhältnisse können Menschen nicht einmal mehr ernsthaft wünschen, so sehr sind sie in einer versteinerten Sachzwangslogik zementiert; aus diesem Grund, so das Argument, ist es die Aufgabe theoretischer Praxis – des „Klassenkampfs mit intellektuellen Waffen“ (S. 59) –, Wünsche zu evozieren, und zwar durch ein märchenhaftes, bilderreiches, utopisches Schreiben (S. 58ff.).
Aber muss, so fragt sich die Verfasserin selbst, ein solches Schreiben nicht in einen Utopismus abgleiten? Das würde bedeuten, die bestehende Ordnung gerade in der Verbildlichung eines Gegen-Entwurfs affirmativ zu stützen (S. 60ff.). Und tatsächlich, so die Diagnose von Adamczak, viele Kapitalismus-Kritiken waren nicht radikal genug; in der Utopie, die sie offen oder versteckt ausgemalt hatten, wurden viel zu oft Elemente der alten Ordnung fortgeschrieben. Als Grund für diese subtile Rückwärtsgewandtheit macht Adamczak die Verabsolutierung einer je spezifischen Sphäre der kapitalistischen Gesellschaft aus. Wird etwa die Produktionssphäre idealisiert, dann ist zwar der Kritik mit dem Begriff der Ausbeutung ein wirksames Konzept an die Hand gegeben. Utopisch gewendet träumt diese Kritik aber von einer Welt von Menschen, die im wesentlichen Arbeiterinnen sind. Damit wird Arbeit essentialisiert und nicht selbst als kapitalistisch formbestimmt negiert.
Vor diesem Hintergrund geht es Adamczak nicht nur darum, das Wünschen wieder möglich zu machen, sondern das Verlangen zu einer exzessiven Radikalisierung anzustacheln – in dem Sinn, dass es wirklich über das Bestehende hinausweist und nicht klammheimlich von ihm infiziert ist.
Zweifellos besticht Adamczaks Buch vor allem dadurch, dass es die rhetorische Dimension jeder theoretischen Praxis ernst nimmt, und gerade sie zur strategischen Waffe macht: ihr Märchen zielt darauf ab, performativ sein, das hervorrufen, wovon es spricht, jenes Verlangen tatsächlich anstacheln, das es mit Worten ausmalt. Ein solches Bekenntnis zur Rhetorik ist weniger postmodern als es scheint, denn tatsächlich war es niemand anderes als Marx selbst, der sich rhetorischer Techniken auf ausgezeichnete Weise bediente. (Nicht zufällig heißt eines seiner Hauptwerke Manifest)
Aber gerade der Vorzug des Buches hat eine problematische Implikation: Sprachphilosophisch ist längst klar, dass Worte, Bilder oder Texte nur unter bestimmten Umständen wirkmächtig sind. Neben einer autoritativen Sprecherposition (die gerade heute, ohne nennenswerte praktische Kämpfe im Rücken, prekär ist), benötigt die theoretische Rede eine bestimmte Art von Wirklichkeitsbezug. Das soll nicht heißen, dass sich der Text einfach auf eine präexistente Wirklichkeit beziehen müsste, sondern nur, dass er sich auf Elemente im Wirklichen referieren muss, die seinen Erfolg stützen können. Aus einer Marxschen Perspektive formuliert: Die Kritik an den bestehenden Verhältnissen bezieht ihre Wirksamkeit nicht aus der Berufung auf ein universelles oder transzendentales Außen (etwa die Gerechtigkeit), sondern daraus, dass sie sich auf Aspekte der sozialen Wirklichkeit bezieht, die zumindest unterschwellig winderständig oder widersprüchlich sind. Und diese faktischen kritischen Tendenzen muss die Kritik nur laut ausbuchstabieren, um Wirkungen zu zeitigen. Der Kampf zweier Klassen etwa, von dem Marx sprach, war so zu einen Teil der performative ‚Theorie-Effekt’ (Bourdieu) der Marxschen Theorie, aber diese performative Wirkung kam nur zustande, weil der Gegensatz zwischen den beiden Klassen sich wenigstens implizit schon herausgebildet hatte.
Analog hat der performative Versuch, ein kommunistisches Verlangen zu evozieren, nur in einem solchem Maß Aussicht auf Erfolg, wie in der sozialen Praxis zumindest latente Wünsche ausfindig gemacht werden können, die über das Bestehende hinausweisen, und die die Theorie explizit machen, artikulieren kann. Genau diese Option versperrt sich die Autorin aber, so scheint es zumindest, wenn sie vehement viele der historisch entstandenen Wünsche als von der kapitalistischen Ordnung durchdrungen verwirft. Bei Adamczak sieht es so aus, als ob allein die Tatsache, dass bestimmte Wünsche Kinder spezifischer historischer Verhältnisse sind, einen Grund für ihre Verwerfung bieten – und nicht Anlass sind, sie aufzugreifen, sie zu artikulieren, sie weiter zu treiben.
Insgesamt ist die Geschichte vom Kommunismus freilich ein Buch, das Lust macht, das zum Lachen bringt – und das trotzdem oder gerade deshalb auf wenigen Seiten verdichtet mehr bedeutsame Gedanken enthält als die meisten gelehrten Abhandlungen.« – Hannes Kuch, Das Argument 268, 2006