Señor Balboa, ein frommer, gutmütiger und sehr reicher Mann, steht unter dem Pantoffel seiner Frau Julietta, die sich »auftakelt«, Liebhaber hält und wöchentlich große Feste auf Kosten ihres Mannes feiert. Doch auch der Señor hat eine langjährige Geliebte, Vidalita, die er für die ideale Frau hält. Natürlich versucht Señor Balboa sich von seiner tyrannischen Frau zu trennen, es fehlt ihm jedoch an Durchsetzungsvermögen, und so bleibt ihm nichts, als finstere Rachepläne zu schmieden, die er nie in die Tat umsetzt. Als Vidalita stirbt, zieht Senor Balboa in deren Haus, läßt Fenster und Balkone zumauern, den Strom abstellen und verabschiedet sich von der Welt. Seine Freunde lassen für ihn und seine Geliebte ein Mausoleum errichten und in den Grabstein einmeißeln: »In der Ewigkeit ist nichts von Dauer.«
Rezension
Es ist, als ob der Autor sich sprachpsychologisch auf das Gebiet des Hintersinns begibt. Seine komisch-tragischen Figuren sprechen ohne Umschweife aus, was man gemeinhin als Hintergedanken bezeichnet. Was in Gesellschaft also nie ausgesprochen, sondern bestenfalls indirekt mitgeteilt wird. Die Dialoge erinnern oft an jene Art Selbstgespräch, das jeder kennt: das Ringen mit dem eigenen Gewissen, knapp an der Schwelle zum Selbstbetrug. Und Saenz zeigt dabei mit leichter Feder, wie wenig das Bild, das Balboa von sich selbst hat, mit jenem Bild zusammen geht, das andere von ihm haben müssen. Und deckt auf, mit welchen gedanklichen und rhetorischen Strategien der Senor Balboa versucht, den Riss, der sein Selbstbild zu durchziehen beginnt, zu kitten. Dabei ist Balboa zugute zu halten, dass er nicht den leichten Weg wählt.
Angela Delissen – Lorettas Leselampe
Jaime Saenz
Der Herr der Nacht
Der bolivianische Schriftsteller (1921 – 1986) ist außerhalb Lateinamerikas kaum bekannt; der deutsche Unrast Verlag begann vergangenes Jahr mit der Edition seines Werkes.
“Die im Halbdunkel liegenden Räume sind groß, kalt und bedrückend leer …”
“Neben der Tür ist eine Art Gang, dunkel wie ein Grab, der eigentlich ein abscheulicher Windfang ist und den die Señora und ihre Tochter benutzen, um Fleisch und Knochen aufzuhängen.”
“Denn ich weiß bereits, dass die Dunkelheit ewig ist und das Leben ein Funke. Aber dieser Funke bedeutet mehr als alle Dunkelheit.”
Diese Textstellen aus den beiden bisher auf Deutsch erschienenen Büchern von Jaime Saenz “beleuchten” ein wenig die Welt des schrulligen Bolivianers, der viele Jahre seines Lebens nur in der Nacht lebte. Er wohnte in La Paz, in einer Stipendiatenwohnung, die ihm der Staat auf Lebenszeit vermacht hatte, und verschlief den Großteil des Tages in dieser Wohnung. Erst nachts wurde Saenz aktiv, und diese Aktivität war das Schreiben. Er lebte nur für das Schreiben.
Dieser Lebensrhythmus prägte ganz offensichtlich auch die literarische Welt des Jaime Saenz, in der Nacht, Kälte, Ferne, dunkle Räume, der Tod zentrale Themen sind. Es ist eine ganz eigenartige Welt, in die uns der Bolivianer einführt, eine Welt fernab des bilder- und ideensprühenden magischen Realismus, die man sonst mit lateinamerikanischen AutorInnen verbindet. Eine eher langweilige Welt, in der nicht viel passiert, der äußere Handlungsablauf oft spröde und von Nichtigkeiten geprägt ist – und dennoch beginnt diese Welt eine gewisse Faszination auszuüben. Trotz der sparsamen und in einfacher, unprätentiöser Sprache erzählten Handlung gelingt es Saenz immer wieder, die Leserin, den Leser in einen schwer beschreibbaren imaginären Raum einzufangen, in dem alles möglich scheint. In jeder Zeile kann eine Überraschung lauern, kann die Geschichte eine andere Richtung nehmen. Unversehens führt uns der Autor in tiefschürfende philosophische Betrachtungen, die – wohl als Ausdruck seiner ironisch-kritischen Distanz zu allem Existierenden – immer wieder mit Banalitäten gespickt sind. Oder er überrascht mit genauer realistischer Beobachtung von Menschen – und lässt den Protagonisten in der nächsten Minute voll in die Absurdität des Lebens rennen. Wie das Absurde des Daseins überhaupt ein prägendes Element des Nachtmenschen Saenz ist. Und die zentralen Punkte unserer Existenz nichts weiter sind als eine Schimäre, die der kalte Hauch des Schicksals jederzeit wegblasen kann. “Hier bin ich nun, in diesen vier Wänden, und sinne über mein Schicksal nach, besser gesagt über das Grab”, sinniert Herr Balboa im gleichnamigen Roman, nachdem er alle vier Balkone und zehn Fenster seines Hauses hatte zumauern lassen und nur mehr in der Dunkelheit lebte.
In deutscher Übersetzung – von Helga Castellanos und Christa Fabry de Orías – erschienen bisher “Die Räume” und “Der Señor Balboa”; weitere Publikationen von ihm sind in Vorbereitung. Jaime Saenz, der in Bolivien etwa 20 Bücher veröffentlichte – Prosa und Gedichtbände – blieb im außeramerikanischen Ausland bisher weitgehend unentdeckt. In Italien befasst sich seit zwei Jahren der Verlag Crocetti mit der Herausgabe seines Werkes; an der Harvard Universität bemüht sich der Literaturprofessor Forrest Gander, für den Saenz einer der großen Dichter der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts ist, den bolivianischen Autor bekannt zu machen.
“Die Räume” ist eine Satire auf die bolivianische Unterschicht und ihren Hang zum Mystizismus, doch ist Satire bei Saenz immer liebevolle Ironie, humorvoller Ausdruck der Liebe zum Menschen und dem Allzumenschlichen. Im scheinbar Geringen steckt das Wichtige, während sich das scheinbar Wichtige oft nur als naive Illusion erweist.
Auch im “Señor Balboa” steht die ironische Betrachtung existentieller Lebensbereiche im Mittelpunkt. Hier sind es die Institution Ehe und das Geschlechterverhältnis, das der Autor bis an die Grenze zur Boshaftigkeit seziert. Diese satirische Analyse ist immer wieder durchsetzt mit Dialogen, die um den Tod, das Grab, die immerwährende Nacht kreisen. Die Erben ließen dem Herrn Balboa folgenden Spruch auf den Grabstein schreiben: “Im Grab lebt das Leben. Es weiß, der Tod ist ein Gemütszustand.”
Jaime Saenz: Die Räume (Los cuartos).
: Der Señor Balboa
– (El Señor Balboa). Übersetzt von Helga Castellanos und Christa Fabry de Orías. Unrast Verlag, Münster 2001, 128 Seiten, 14 Euro.
Werner Hörtner, Lateinamerika anders