Bauman ist einer der meistzitierten Soziologen der Gegenwart. Politik und Postmoderne ist die erste umfassende Darstellung von Baumans Theorieansatz in deutscher Sprache. Jens Kastner leistet in seiner Auseinandersetzung mit Bauman einen Beitrag zur längst überfälligen Selbstreflexion der Soziologie. In seiner Diskussion rassismustheoretischer, identitätspolitischer und ethisch-moralischer Aspekte postmoderner Theorie macht er darüber hinaus deutlich, wo die Stärken und Schwächen postmoderner Ansätze für emanzipatorische Politik liegen.
Abstracs
I. Was ist Postmoderne und wieso eigentlich Anarchie?
Baumans Grundannahmen zum Begriff der Postmoderne werden erläutert, die er als philosophischen Diskurs einerseits und gesellschaftlichen Zustand (bzw. eben solche Prozesse andererseits) beschreibt. Für jenen Diskurs ist Postmoderne in erster Linie als Infragestellung der Verbindung von Macht/ Herrschaft und Philosophie/ Staat zu verstehen.
Die Forschungshypothese wird begründet: Es gibt in der Analyse Baumans bzw. in den Konsequenzen, die er daraus zieht und zu ziehen anrät, anarchistische Tendenzen. Einerseits entkoppelt er die (Sozial-)Wissenschaften vom Nationalstaat als Referenzsystem, andererseits verbindet er aber trotzdem die Frage nach sozialen Ungleichheiten und individueller Freiheit. Das ist eine Konstellation, die so nur oder vor allem der historische Anarchismus geleistet hat (oder zu leisten vorhatte). Einerseits sollen also die anarchistischen Tendenzen herausgearbeitet werden, andererseits sollen Brüche und Widersprüche in Baumans Argumentation nachvollzogen und – am eigenen Anspruch gemessen – ergänzt werden: zu libertären Aspekten. Hier kommt der Feminismus ins Spiel, aber auch die Postkoloniale Kritik (Hall, Bhabha), die dazu herangezogen werden (als Maßstäbe der Kritik), denn beide lösen Ansprüche in Bereichen ein, die Bauman “vergißt”.
II. Kritik der Moderne: Zur Soziologie der Postmoderne Zygmunt Baumans
Die zentrale These Baumans (in Moderne & Ambivalenz) wird dargestellt: Wesensmerkmal der Moderne ist es, Ordnung herzustellen und Ambivalenz abzuschaffen. Dabei werden Politik und Moral zwischen Aussicht und Untergang verortet. Die zweite zentrale These Baumans (in Dialektik der Ordnung) lautet: Der Holocaust ist nicht Betriebsunfall der Moderne, sondern der einzigartige, aber zuverlässige Test ihres latenten Potentials. Und: der moderne Zivilisationsprozeß selbst führt zu moralischer Indifferenz und nicht zu deren Absterben.
III. Staat und der Macht/ Wissen Komplex
Die Verknüpfungen von Intellektuellen und Staat, Philosophie und Herrschaft als gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zu legitimatorischen Zwecken, und dessen Folgen werden dargestellt: Herrschaft braucht angeblich in der Postmoderne keine Legitimation. Der Staat, bis dato züchtend und ordnend, hervorgebracht und unterstützt von den Gelehrten, verliert an Bedeutung (die der Markt gewinnt). Und die Intellektuellen werden ersetzt durch sich selbst reproduzierendes ExpertInnenwissen. Rationalität verliert in diesem Prozeß ihre aufklärerische Schärfe. Denn Wissenschaft selbst wird zur Reproduzentin klassischer Muster von Macht und Abhängigkeit – wo Irrationalität kolonisiert wird, kann Rationalität nicht Freiheit bedeuten. Aufgrund seiner vernunftgeregelten Ordnung wird der Nationalstaat als Referenzsystem für die Sozialwissenschaften grundsätzlich infrage gestellt. Bei der Analyse dessen “übersieht” Bauman die spezifisch männliche Konzeption von Vernunft und daß bürokratische Herrschaft immer männliche Herrschaft ist. Und weil männliche Herrschaft nicht nur bürokratische Herrschaft ist, gibt es sie natürlich auch noch in der Postmoderne. Ebenso wie den Staat, der nicht verschwunden, sondern nur verwandelt ist.
IV. Die notorisch ambivalente Kategorie
Ausgehend von der Analyse, daß derdiedas Fremde Archetyp für das Unentscheidbare ist, das die Moderne nicht dulden kann, wird Baumans Rassismustheorie dargelegt und in den Kontext der Rassismus-Forschung gestellt. Rassismus ist nach Bauman “primär ein politisches Programm”. Erst die Ergänzung von Baumans Ansatz durch psychoanalytische Kategorien einerseits und die Diskurse über “dieden Anderen” andererseits zeigen, daß und warum Rassismus auch in Zeiten der erodierenden Vision vom großen Garten dennoch allgegenwärtig ist: Weil “der Fremde” weiblich ist und weil ohne “den Fremden in der Ferne” die Moderne nicht die Moderne wäre, ist Rassismus nicht nur administratorische Leistung, sondern auch Alltagsphänomen und insofern insgesamt hegemonialer Diskurs. Die von ihm selbst zitierten, sowie feministische und Erklärungsansätze der Postkolonialen Kritik werden hinzugezogen, um Baumans (sich selbst beschränkende) Überlegungen zu einem libertären Theorieansatz auszuweiten. Libertär insofern, als hier auf und gegen spezifische Herrschaftsverhältnisse sich bezogen wird, um Auslassungen im modernen Diskurs zu benennen und theoretisch zu füllen. Am Beispiel Multikulturalismus wird diese Theorie letztlich angewendet und erläutert, warum und wie der Rassismus in der Postmoderne durch unzählige KleingärtnerInnen wirkt.
V. Postmoderne und Subjekt, oder: Aufgaben der (Selbst-)Konstitution
Voraussetzung für moralische Handlungen ist ein handlungsfähiges Subjekt. Daß dieses in der Postmoderne aus gutem Grunde dekonstruiert ist, nimmt Bauman nicht wahr. Nach der Beschreibung von Rassismus als modernes Phänomen wird deshalb Geschlecht als eine zentrale Kategorie, gesellschaftliche Ordnung zu errichten, vorgestellt (Connell, Maihofer). Denn Macht und Geschlecht sind dem modernen Subjekt immanent.
Anhand der Untersuchung von Konzepten des Selbst und der Identität wird die These Baumans von der Moral als vor-gesellschaftliches Phänomen überprüft: Der Versuch, in postmodernen Verhältnissen ein einheitliches Ich herzustellen (Kohärenzstiftung), ist zum Scheitern verurteilt. Die Dezentrierung des Individuums erscheint als eine konsequente Weiterentwicklung anarchistischer Thesen zur Dezentralität. Baumans Konzeption vom “moralischen Selbst” erweist sich als ein Versuch, das Ich theoretisch als Heimat der Moral einzurichten.
VI. “Der Andere” und die Gesellschaft: Postmoderne Ethik
Baumans Begründung einer postmodernen Ethik wird kritisiert: Gesellschaftliche Strukturierung enteigne den “moralischen Impuls”, den Bauman vehement verteidigt. Dabei setzt er Bevormundung durch den Staat und durch (ästhetische) Gemeinschaften gleich und versperrt die differenzierte Untersuchung von Alternativen zum Nationalstaat. Zum Erfinder einer Postmodernen Ethik kann Bauman nur durch eine Fehlinterpretation von Lévinas´ Moralphilosophie gelangen (dessen Verantwortungsbegriff “früher als Freiheit” angesiedelt ist, während er bei Bauman der Freiheit der Wahl entspringt). Anarchistische Freiheitstheorie kommt als Kritikmaßstab zum Zuge, denn dort sind individuelle Freiheit und soziale Organisation – bei aller Ablehnung gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen – nicht als Gegensätze konzipiert.
VII. Postmoderne Politik I: Vom Schicksal zum Geschick
In Anbetracht der Tatsache, daß alle Visionen einer “besseren Ordnung” von den terroristischen Mitteln ihrer Durchsetzung (Sozialtechnologie) nicht zu trennen sind, werden die Grundlagen für verändernde Praxis von gesellschaftlichen Verhältnissen neu diskutiert. Dabei wird Baumans Haltung in der Diskussion um Neotribalismen als postmodernes Phänomen kritisiert: Auch wenn nur “Wolken von Gemeinschaft” existieren, so existieren sie; und vielleicht ist die soziale Zersplitterung als eine Form der Dezentralisierung eine adäquate Antwort auf soziale Hierarchisierungen. Das anarchistische Verständnis von “sozialer Gemeinschaft” wird in diesem Zusammenhang erläutert – als potentieller Alternative zum Nationalstaat und als