Nach Auschwitz kann es keine Kritik der Gesellschaft ohne eine Theorie des Faschismus geben.

Theorie des Faschismus – Kritik der Gesellschaft

ISBN: 978-3-95405-003-1
269 Seiten, ePub

12,99 

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Nach Auschwitz kann es keine Kritik der Gesellschaft ohne eine Theorie des Faschismus geben. Der Faschismus zwingt eine kritische Gesellschaftstheorie dazu, ihre eigenen Bedingungen zu reflektieren, und er zwingt ihr zugleich ihren zentralen Gegenstand auf: die Möglichkeit eines Umschlags der Zivilisation in die Barbarei. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Band eine doppelte Frage diskutiert: Welche Konsequenzen haben kritische Gesellschaftstheorien aus dem Faschismus für das Schicksal der bürgerlichen Gesellschaft und für die heutige postfaschistische Epoche gezogen? Und wie sehen die Bedingungen der Möglichkeit kritischer Philosophie und Gesellschaftstheorie nach Auschwitz aus?

Rezension, Rosa Antifa Wien: §248 / Abs 31 – Wöchentliche Demozeitung :
Faschismustheorie und Gesellschaftskritik
Die Protestbewegung gegen schwarz-blau ist auch ein Jahr nach der Machtübernahme einer Koalition unter Einschluß der FPÖ weitgehend jeder Beschäftigung mit Faschismus-theorien aus dem Weg gegangen. Mit dem Erscheinen eines zusammenfassenden Einführungswerkes aus dem Unrast-Verlag wird es nun jedoch auch “EinsteigerInnen” erleichtert, aus der Theorie des Faschismus eine Kritik der Gesellschaft zu formulieren, bzw. die Aktualität von Faschismustheorien für aktuelle Gesellschaftskritik zu erarbeiten.
Der Großteil der in diesem Band gesammelten Beiträge wurde im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der jour fixe initiative berlin als Referat in Berlin gehalten und stellt bewußt die behandelten Theorien so vor, daß sie ohne spezifische Vorkenntnis oder Lektüre der Originaltexte verständlich bleiben. In so fern stellt das Buch auch eine ideale Einführungslektüre für LeserInnen dar, die sich erstmals mit Faschismustheorien beschäftigen wollen.
Besonders interessant ist dabei für uns die Kurzdarstellung der Studien der Kritischen Theorie zum autoritären Charakter, die bereits in der Ära des Bewegungsfaschismus, der sich zumindest in Deutschland noch nicht an der Macht befand, enstanden sind, insbesondere von Theodor W. Adorno aber auch nach der Schoa weiter ausgebaut wurden. Adorno betrachtet faschistische Einstellungen dabei weniger als rationale Ideologie, sondern als Folge eines autoritären Charakters des einzelnen Faschisten. Für den autoritären Charakter eines schwachen Ichs wird dabei eine Radfahrernatur als charakteristisch gesehen, die aus Nach-oben-strampeln und Nach-unten-treten besteht. Zugleich existiert ein ausgeprägter Wunsch nach Unterwerfung, so wie Agression gegen Schwächere. Statt gegen die eigenen Autoritäten zu rebellieren, kompensiert das von der patriarchalen Familie geprägte schwache Ich seine Unfähigkeit, eine selbstbestimmte Persönlichkeit zu entwickeln, durch eine konformistische Rebellion und ein Aufgehen in einem bestimmenden Kollektiv, im Volk oder der Nation. Jeder “kleine Mann” kann sich so, sei er auch noch so klein, als Mitglied eines geschichtsmächtigen Kollektivs betrachten, das auch noch einen Schuldigen für alle negativen Entwicklungen, die über dieses Kollektiv hereinbrechen, findet. Das eigene geschichtsmächtige Kollektiv benötigt geradezu den Gegner, den Schuldigen, das Gegenkollektiv, um sich überhaupt zu konstituieren.
Der ambivalente Wunsch des autoritären Charakters, sich gleichzeitig einer Autorität unterwerfen zu können und dieser anzugehören, führt dazu, daß das schwache Ich seine Agressionen gegen Fremdgruppen richten muss, weil es nicht in der Lage ist, sie gegen Autoritäten der eigenen Gruppe zu richten. Adorno legt schließlich auch Wert darauf, daß die strukturellen Bedingungen, die Auschwitz ermöglicht haben, nicht aus der Welt geschafft wurden. Auschwitz wird im Allgemeinen als historischer Rückfall in die Barbarei gesehen. Adorno betont aber, daß diese Möglichkeit des Rückfalls in die Barbarei, da sie sich historisch zugetragen hat, als chronische Möglichkeit einer Wiederkehr nicht mehr wegzudenken wäre. Adorno spitzte dies im Satz “Deutschland denken heißt Auschwitz denken!” zu. Anti-nationale DonnerstagsdemonstrantInnen, die diesen Satz auch auf Österreich bezogen haben und ein Transparent mit der Aufschrift “Österreich denken heißt Auschwitz denken” mit sich trugen, wurde von vielen anderen DemonstrantInnen Unverständnis, teilweise sogar Agression entgegengebracht. Schließlich geht es vielen DonnerstagsdemonstrantInnen längst viel mehr um den Erhalt des Sozialstaates, denn um die Beteiligung einer Partei mit dem ideologischen Hintergrund der FPÖ.
Neben den Faschismustheorien der Frankfurter Schule werden im Sammelband “Theorie des Faschismus – Kritik der Gesellschaft” aber durchaus auch Theorien behandelt, die in vielem widersprüchlich sind und in der Linken auch auf Wider-spruch stoßen müssen. Stefan Vogt sucht in einem Beitrag nach einem “kritischen Totalitarismusbegriff” bei Hannah Arendt, Franz Neumann und Max Horkheimer. Elfriede Müller schreibt über Republikanischen Nationalismus und Faschismus in Frankreich und Jochen Baumann macht sich Gedanken über Produkti-vität und Vernichtung im National-sozialismus. Dazu ergänzen noch eine Reihe weiterer Aufsätze das gut lesbare, aber trotzdem anspruchsvolle Buch. Diese sind durchaus unterschiedlich und teilweise widersprüchlich, legen aber wert auf die aktuelle gesellschaftliche Relevanz der behandelten Faschismustheorien.
Gerade für die Protestbewegung, die seit Februar 2000 jede Woche auf die Straße geht, um ihre Ablehnung gegenüber dieser FPÖ kundzutun, wäre es von großem Interesse, sich einmal die in diesem Buch versammelten Aufsätze anzusehen. So heterogen diese Protestbewegung nämlich ist, so verschieden sind auch die darin vorgestellten und behandelten faschismustheoretischen Ansätze.

Mit Beiträgen von:
Stefan Vogt: Gibt es einen kritischen Totalitarismusbegriff?
Enzo Traverso: Die Intellektuellen und der Antifaschismus. Für eine kritische Geschichtsschreibung
Jan Weyand: Zur Aktualität des autoritären Charakters
Moshe Zuckermann: Faschismus, autoritärer Charakter und Kulturindustrie
Udo Wolter: Postkolonialismus. Ein neues Paradigma kritischer Gesellschaftstheorie?
Ulrich Bröckling: Totalitätslehren der Zwischenkriegszeit. Die Doktrin des »totalen Krieges« zwischen 1918 und 1945
Jochen Baumann: Produktivität und Vernichtung. Die Transformation der Sozialpolitik im Nationalsozialismus
Elfriede Müller: Republikanischer Nationalismus und Faschismus in Frankreich
Klaus Holz: Die Verknüpfung von Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus in der Dritten Republik. Zum Beispiel Édouard Drumont
Alexander Ruoff: Science Fiction und bürgerliche Utopie. Zukunftsvorstellungen nach Auschwitz

Aus dem Vorwort

Alle hier versammelten Aufsätze gehen der Frage nach, welchen Beitrag eine Theorie des Faschismus zur Kritik der heutigen Gesellschaft leisten kann. Sie stellen sich die Aufgabe, ein theoretisches und praktisch-politisches Problem anzugehen: wenn die Faschismen eine Transformation der bürgerlichen Gesellschaft darstellen, die im Nationalsozialismus so weitgehend war, daß von einem Bruch mit der bisherigen Geschichte gesprochen werden kann, dann muß eine aktuelle Kritik der Gesellschaft sich genau mit dieser Dialektik von Kontinuität und Bruch, die der Nationalsozialismus bewirkt hat, auseinandersetzen. Eine derartige Theorie des Faschismus ist eine Voraussetzung für die Kritik der Gesellschaft. Sie muß, will sie eine wirksame Kritik heutiger Vergesellschaftung leisten, Kontinuität und Differenz der bürgerlich

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