Gustav Landauers 1907 erschienene Monographie “Die Revolution”, die er auf Anregung seines Freundes Martin Buber schrieb und die in der von Buber herausgegebenen, angesehenen Reihe “Die Gesellschaft” erschien, beinhaltet eine geschichtsphilosophische Abhandlung zur Bedeutung neuzeitlicher Revolutionen. Damit liegt eine Schrift vor, die als eine grundlegende Geschichtsphilosophie des Anarchismus angesehen werden kann, ohne die ein umfassendes Verständnis von Landauers kommunitärem Anarchismus nicht möglich ist. Sie ist zugleich die einzige Geschichtsphilosophie aus libertärer Sicht im deutschsprachigen Raum bis heute!
Für Landauer stellt die Revolution nicht einen einmaligen Vorgang dar, sondern einen sich über Jahrhunderte hinziehenden Prozeß, eine permanente Tat. Er betont, daß sich die Revolution auf die gesamte, vom Menschen für sein Zusammenleben geschaffenen Verhältnisse beziehen müsse. An dieser Stelle – und das ist zum Verständnis von Landauers Geschichts- und Revolutionsbegriff zentral – führt er die beiden Begriffe “Topie” und “Utopie” ein. Unter “Topie” versteht er die Gesellschaft im Zustand relativer Stabilität. Dem stellt er die “Utopie” gegenüber, die er dem Bereich der Individualität, der Kritik und “Ungebundenheit des Geistes” zuordnet. Auf jede “Topie” folgt eine “Utopie”, die wiederum zur “Topie” führt. Die Zeitspanne zwischen zwei “Topien” nennt er Revolution. Geschichte ist demnach für Landauer eine Pendelbewegung zwischen revolutionärer Veränderung und status quo. Seine Revolutionstheorie, und dies macht seine Aktualität für alle an alternativen, herrschaftsfreien Konzepten gegen Staat, Kapital und Marktwirtschaft interessierten Menschen aus, umfaßt zum einen eine antistaatliche, antiparlamentarische und antimilitaristische Position und zum anderen die Idee einer gesellschaftlichen Neuordnung in Richtung auf einen libertären Kultursozialismus. Im Verständnis von Landauer beinhaltet die Revolution sowohl Entdeckung von Vorhandenem und Gewachsenem, d.h. Widerstand und Widerständiges in der bisherigen Geschichte, als auch eine Erneuerung sämtlicher menschlicher Beziehungen und sozialer Strukturen von Grund auf.