Dieses Buch ist die erste umfassende Darstellung der NS-Raubgold-Debatte aus deutscher Sicht. Als das Thema noch für eine spezifisch schweizerische Angelegenheit gehalten wurde, arbeiteten die Autoren bereits in verschiedenen Veröffentlichungen die Verstrickung anderer neutraler Staaten heraus und verwiesen auf die problematische Nachkriegspolitik der Alliierten. Lange vor den Enthüllungen über die Deutsche und die Dredner Bank betonten sie dabei die Verantwortung Deutschlands.
Ausführliche Chronik, Glossar, kommentierte Literaturliste und eine Übersicht über die Berichte der internationalen Untersuchungskommission erleichtern den LeserInnen den Einstieg in die Thematik.
“Der gut dokumentierte Band wäre fesselnder Stoff für Gegenwarts- oder Sozialkunde an heutigen Schulen, zumal er Gelegenheit bietet, einige der Themenkomplexe durch Forschungen `vor Ort’ gegenständlich zu machen.”
junge Welt
aus dem Inhalt:
Helga Ring, Dieter Schröder, Rolf Surmann
Die Schweizer »Malaise«
Dimensionen des Themas 15
Rolf Surmann, Dieter Schröder
Die Londoner Raubgold-Konferenz
Eine mißlungene Inszenierung 27
Rolf Surmann, Dieter Schröder
Opfergold und Deutungsmacht
Die verschwundenen Reichsbankakten 33
Dokument37
Rolf Surmann
Die Schuld bleibt deutsch
Die Rolle der deutschen Banken 39
Dokumente46
Rolf Surmann, Dieter Schröder
Vom NS-Goldräuber zum führenden Wirtschaftskriminologen der Bundesrepublik
Die Karriere des Dr. Walter Zirpins 51
Dokument 54
Rolf Surmann
»Wiedergutmachung«: 1
Deutschland zahlt heim
Reparationen, Restitution und Entschädigung von
NS-Opfern im historischen Aufriß 61
Rolf Surmann
Hamburg vorn?
Die »Wiedergutmachungs«-Debatten in der
Hamburger Bürgerschaft 73
Rolf Surmann
»Ein Krankenhaus für Israel«
Der Loskauf von den NS-Verbrechen 83
Rolf Surmann
Normalitätsversicherung
Das Zwei+Vier-Abkommen und die Entschädigung
der osteuropäischen NS-Opfer 91
Dokument 96
Rolf Surmann
Autoritärer Staat
Der Bundestag urteilt über die Wehrmachtsdeserteure 99
Rolf Surmann
Filbinger, NS-Militärjustiz und deutsche Kontinuitäten 103
Dokumente112
Rolf Surmann, Dieter Schröder
Betr.: »Wiedergutmachung«
Konzerne, Banken und die Entschädigung der NS-Opfer 115
Dokumente 120
Rolf Surmann, Dieter Schröder
Entschädigung im Jahrhunderttakt 127
Die Washingtoner Konferenz und deutsche Positionen
Dokumente 132
Rolf Surmann
»…zum Schweigen gebracht«
Das Beispiel Griechenland 135
Dokument 142
Rolf Surmann
Kleine Geschichte der
»Wiedergutmachung« 145
Dokument 156
Rolf Surmann, Dieter Schröder
NS-Raubgold: Die Rolle der Schweiz 159
Rolf Surmann, Dieter Schröder
Schweizer Positionen 167
Jan Oltmanns
»Arisierung«: Raubpolitik und Antisemitismus 173
Rolf Surmann, Dieter Schröder
Gesellschaftsgeschichte des Kriegs: NS-Kunstraub 179
Anhang
Dieter Schröder
Auswahlbibliographie:
Reparationen, Restitution und Entschädigung 185
Dieter Schröder
Untersuchungskommissionen und Berichte:
Internationale Übersicht 190
Dieter Schröder
Chronologie 1945–1999 195
Personenregister 203
Drucknachweis 206
Aus der Einleitung :
“Die Vermarktung eines großen Teils des NS-Raubgoldes durch Schweizer Banken war und ist ein skandalträchtiges (Medien-)Thema. Es wird in der Regel unter der Schlagzeile abgehandelt: Biedere Bankiers waren Hehler des Holocaust. Doch verdeckt diese Skandalisierung nicht nur die Gesamtdimension der Problematik, sondern auch ihre Vielschichtigkeit. Jede Themenebene ist auf spezifische Weise interessant, hat ihre eigenen Fragestellungen und führt oft zu überraschenden Antworten.
Natürlich ist die Selbstenthüllung der schweizerischen Bankiers nach Jahrzehnten des Schweigens und Leugnens spektakulär und stößt zurecht auf öffentliches Interesse. Denn hier brach eine Selbstdarstellung in sich zusammen, die mit den von Deutschen begangenen Verbrechen gegen die Menschheit nichts gemein zu haben schien. Sie zerbrach in zweifacher Hinsicht. Zum einen wurde die Zusammenarbeit der neutralen Schweiz mit dem nationalsozialistischen Deutschland in einem Umfang aufgedeckt, daß heute lediglich darüber gestritten wird, ob es sich dabei um eine durch den Zwang der Verhältnisse unausweichliche Zusammenarbeit oder um distanzlose Kollaboration gehandelt habe. Zum anderen wurde in der Öffentlichkeit bekannt, daß die Verantwortlichen von diesen Positionen selbst nach 1945 nicht abgerückt waren. Auf der Washingtoner Konferenz 1946 zur Rechenschaft aufgefordert, logen und täuschten sie, suchten nach Ausflüchten und unterliefen getroffene Vereinbarungen. So erreichten sie zum Beispiel, daß entgegen ursprünglichen alliierten Vorstellungen deutsches Auslandsvermögen in der Schweiz nicht zu Reparations- und Entschädigungszwecken einbehalten, sondern selbst rückverlangtes Raubgut an die Bundesrepublik gegen deren Bereitschaft, alte Kreditschulden weitgehend zu begleichen, übergeben wurde: ein guter Deal für beide Seiten.
Als Konsequenz aus dem Zusammenbruch dieses forciert artikulierten Selbstverständnisses stellt sich natürlich auch die Frage nach der Scheidelinie zwischen bürgerlich-demokratischer Gesellschaft und Faschismus bzw. Nationalsozialismus. Sie ist nicht so strikt gezogen, wie dies nach 1945 behauptet wurde. Hierauf weist nicht zuletzt der Umstand hin, daß diese Problematik zwar am Beispiel der Schweiz am heftigsten diskutiert wurde, aber Formen von Interessengemeinschaft und Kooperation mittlerweile in vielfältiger Hinsicht zur Sprache kamen. Andere, im Krieg neutrale Staaten wie Schweden, Türkei oder Spanien sind hierin genau so einbezogen wie unterschiedliche gesellschaftliche Kreise selbst in den besetzten Ländern oder in den alliierten Staaten. Sie betrifft Kunsthändler in der Schweiz, in Frankreich oder in den Niederlanden ebenso wie US-amerikanische Autokonzerne oder niederländische Banken.
Wie schwer es selbst heute fällt, eine eindeutige Abgrenzung zu den weniger beachteten NS-Verbrechen zu ziehen, zeigt eine Ende letzten Jahres getroffene Vereinbarung über die Rückerstattung von geraubten Kunstgegenständen, die bis heute nicht an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben worden sind. Angesichts einer Raubgeschichte, die in den letzten Jahrhunderten sowohl die Raubzüge der europäischen Nationalstaaten untereinander umfaßt wie deren kolonialistische Plünderung außereuropäischer Kulturen, konnte auf der Washingtoner Konferenz im November/Dezember 1998 keine strikte Regelung verabschiedet werden, die zur Rückführung von Kulturgegenständen nach international anerkannten Grundsätzen führen würde. Es blieb im wesentlichen bei nicht verbindlichen Absichtserklärungen.
Ohne die Thematik verharmlosen zu wollen, erscheint der nationalsozialistische Kunstraub deshalb wie die Spitze eines Eisbergs. An ihm wird ein gesellschaftliches Versagen erkennbar, für dessen Überwindung selbst nach den Bemühungen der letzten Jahre keine systematischen Grundlagen geschaffen werden konnten. Auch hierin zeigt sich, daß die Schweizer Bankiers nur die Chiffre für eine grundsätzliche Problematik sind. “