Der bewegte Marx

Eine einführende Kritik des Zirkulationsmarxismus
ISBN: 978-3-89771-486-1
64 Seiten, softcover

7,80 

Mit »Der bewegte Marx« liefern die Autoren eine Einführung in die Marxsche Kritik, die so radikal ist wie die Wirklichkeit – um über sie hinauszuweisen. Eingeführt wird in eine »andere« Lesart Marx’, die nicht auf der zirkulationsmarxistischen Ebene der Tauschverhältnisse verbleibt, sondern bis zu den Bedingungen der Produktion und des Klassenkampfes vordringt.

Die Autoren
Karl Reitter ist Philosoph und Redakteur der Wiener Zeitschrift »Grundrisse. Zeitschrift für linke Theorie und Debatte“.

Gerhard Hanloser ist Sozialwissenschaftler aus Freiburg und beschäftigt sich mit internationalen linksradikalen Bewegungen. Bei Unrast erschienen Krise und Antisemitismus (2003) und »Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken« (2004).

Leseprobe
Der Zirkulationsmarxismus entnimmt sein grundlegendes Verständnis der kapitalistischen Vergesellschaftung der Marxschen Analyse der Oberfläche der Zirkulation, wie sie in den ersten drei Kapiteln im »Kapital« entwickelt wird. Scheinbar finden sich darin bereits alle wesentlichen Kategorien, um den Kapitalismus zu begreifen: es ist von Ware, Tauchwert- und Gebrauchswert, abstrakter Arbeit aber auch vom Wertgesetz, von Verdinglichung und von Fetisch die Rede. Aufbauend auf dem Fehlurteil, der Kapitalismus sei über den Warentausch vergesellschaftet, extrapoliert der Zirkulationsmarxismus diese Bestimmungen zu einem umfassenden Gesellschafts- und Geschichtsbild: das Resultat ist ein Kapitalismus ohne Dynamik, ohne konstituierende Konflikte und ohne emanzipatorische, »verhüllte« Elemente.
Marx hingegen zeigt, dass die Sphäre des einfachen Warentausches gar nicht aus sich begriffen werden kann. Erst der Perspektivwechsel zur Produktion und zum Klassengegensatz enthüllt die konstituierenden Elemente des Kapitalismus: Gleichheit und Freiheit schlagen um in Ungleichheit und Gewalt, der Äquivalententausch in die Aneignung unbezahlter Mehrarbeit, die Statik der Zirkulation in die Dynamik der Produktion. Erst im Zuge dieser Analyse entfaltet Marx die Begriffe Kapital und Proletariat. Die kapitalistische Produktionsweise in »reiner Form« analysiert, erweist sich als Darstellung einer reinen Dynamik. Die in sich ruhende, negative Vergesellschaftung, wie sie sich auf der Zirkulationsebene zeigt, schlägt in die irreversiblen Prozesse der Entwicklung der Produktivkraft und der Reduktion der notwendigen Arbeitzeit um. Will Marx zeigen, dass die Dynamik des Kapitalverhältnisses die materiellen Bedingungen einer klassenlosen Gesellschaft schafft und so eine reale Umwälzungsbewegung ermöglicht, so schafft der Zirkulationsmarxismus die Bedingungen und Möglichkeiten für emanzipatorisches Handeln theoretisch ab: der Klassenkampf wird zum systemimmanenten Binnenverhältnis des Kapitalismus. So entpuppt sich der Zirkulationsmarxismus als eine auf dem Kopf stehende, ins negative gewendete bürgerliche Affirmation der Verhältnisse. Beide entnehmen »Anschauungen, Begriffe und Maßstab für [das] Urteil« (MEW 23; 190f) der Sphäre der Zirkulation, jedoch dominieren nun die Verdinglichung, Verblendung und die Fetischverhältnisse.

Interview
“Dass Anleitungen zum Lesen von Karl Marx Kapital dessen erste Kapitel als die Wesentlichen empfehlen, ärgerte die Autoren des Büchleins und regte sie zu einer Gegenempfehlung an. Auf 64 Seiten erklären sie daher, warum ein Blick in Band II und III lohnt. Doch ihre kleine Schrift ist keine Predigt der Ultraorthodoxie, sondern eine Aufforderung, die Welt zu verändern.” Radio Z, 19 November 2008
Interview mit Gerhard Hanloser: hier

Reaktionen, Rezensionen

Rezension von Fritz Güde auf Stattweb 10 / 2008

Rezension von Robert Schlosser auf trend online 10/8

” »Marx Lesen« und »das Kapital Lesen«—all dies hört sich einfacher an, als es ist. Hanloser/Reitters kleines Büchlein ist deswegen eine überaus treffende, gut zu lesende und erschwinglich zu erwerbende Warnung vor all jenen »Rittern einer schrägen Marxologie«, die heute nicht selten den Ton der Zeit bestimmen. Es macht Lust auf eine Rückkehr zu den alten Quellen und erinnert uns daran, daß auch vom Kapital nichts versteht, wer nur etwas vom Kapital versteht.” Rezension von Christoph Jünke in JW vom 11.2.2009

“(…) Umso überraschender ist die Diagnose, die Hanloser und Reitter einem Teil des heutigen Marxismus stellen. Es habe sich, konstatieren sie, eine »Lesestrategie« des »Kapitals« von Karl Marx etabliert, die ihr Verständnis des Kapitalismus’ nicht etwa den drei Bänden des Werks entnehme, sondern lediglich den ersten drei Kapiteln des ersten Bandes, in denen sich Marx »Ware und Geld« widmet – der Warenzirkulation. Diese Art des »Kapital«-Lesens, die der Begriff »Zirkulationsmarxismus« charakterisieren soll, verfolgen Hanloser und Reitter von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bis zu heute so gefragten »Kapital«-Interpreten wie Moishe Postone und Michael Heinrich.

Der Zirkulationsmarxismus – in den Diskursen der »antideutsche Antifa« ebenso dominant wie in der »Kapital«-Lesebewegung der LINKEN – suggeriere, die Kenntnis der ersten »Kapital«-Kapitel genüge, »um ein allumfassendes Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise zu gewinnen«. Damit unterschlage er »systematisch den auf den darauf folgenden Seiten dargelegten Wechsel«, mit dem »alle Verhältnisse sich ins Gegenteil verkehren«. Während nämlich am Beginn der Marxschen Gesellschaftsanalyse der Kapitalismus als »Tausch durch Freie und Gleiche« erscheine, zeige sich, sobald Marx die Produktion analysiert, dass aus »Freien und Gleichen Ungleiche« würden und der Äquivalententausch »in die Aneignung unbezahlter Mehrarbeit« kippe.

Mit dieser Unterschlagung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse sehen Hanloser und Reitter ein attraktives politisches Angebot verbunden: einen Marxismus, »der ohne den lästigen Verweis auf eine Arbeiterklasse auskommt, einen Marxismus, der nicht dazu nötigt, das uncoole Wort Klassenkampf verwenden zu müssen, ja einen Marxismus, der es ermöglicht, das Proletariat als bloß von Fetischverhältnissen gezeichnet zu denunzieren«.

Einem derart »toten Marx« wollen Hanloser und Reitter ihren »bewegten Marx« gegenüberstellen, der weiß, dass die kapitalistische Produktion nicht nur der Produktion von Reichtum dient, sondern dass sie auch »die Unterwerfung der lebendigen Arbeit« organisiert.
(…) Hanloser und Reitter haben einem sehr bedenklichen Phänomen einen Namen gegeben: einem »Marxismus«, der von Klassenkampf nichts wissen will und sich darum jederzeit anbietet, als Legitimationsideologie des Bestehenden herzuhalten, wenn es gilt, die Freiheit der westlichen (Warenzirkulations-)Welt gegen die »Barbarei der Anderen« (Immanuel Wallerstein) zu verteidigen.” Auzug aus der Rezension “Unwissende Lümmel” von Michael Sommer, ND vom 26. März 2009

Informationen zu der Autor*in

Gerhard Hanloser hat Soziologie, Geschichte, Pädagogik und Deutsch studiert, lebt und arbeitet in Berlin und vertreibt sich die Zeit mit Privatstudien u.a. zum Antisemitismus, der Neuen Linken und dissidenten Strömungen der Arbeiterbewegung.

Informationen zu der Autor*in

Karl Reitter: Seit Jahren externer Lektor an der Universität Wien, Institut für Philosophie. Mitherausgeber der Zeitschrift grundrisse, www.grundrisse.net. Autor zahlreicher Artikel zu sozialphilosophischen und politischen Themen. E-Mail: k.reitter (ät) gmx.net