Jenseits der Neonazi-Skinhead-Musik festigt sich innerhalb von Dark Wave und Industrial eine rechte Musikszene, die sich zwischen Mythos und Ästhetik bewegt: Doch die Mythen sind nicht ohne Tradition und die Ästhetik ist nicht ohne Ideologie. Rhythmus, Lyrik und Performance transportieren antidemokratische und antiemanzipatorische Motive, die von einer boomenden unkritischen Szene nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert werden.
Die Autoren zeigen die Verwendung rechten Ideologien in der Independentkultur von Dark Wave, Neofolk und Industrial auf und beschreiben die Verbindungen bis hin zur Extremen Rechten. Nach einer allgemeinen Darstellungen der Szene werden rechte Labels, Bands und Publikationen analysiert, ohne deren Bedeutung für die gesamte Szene zu skandalisieren oder zu relativieren.
Exemplarisch untersuchen die Autoren die Zeitschrift ›Sigill‹ und deren nationales Umfeld, sie beschreiben die Band ›Death In June‹ und deren internationalen Verbindungen von der gemäßigten bis zur extrem rechten Szene.
Abgerundet wird das Buch mit einer Betrachtung und Diskussion des Phänomen ›Neuen-Deutsche-Härte‹.
Rezension:
eclipsed, 06/04
“‘Ästhetische Mobilmachung’ ist eine erschöpfende und brillante Veröffentlichung, die auf dem deutschen Buchmarkt ihresgleichen sucht! Warum das Buch von einigen Musikmagazinen ignoriert wird, darüber kann sich jeder seine eigenen Gedanken machen.”
Intro 06/2002 – Johannes Loh
Wir erinnern uns alle an die hitzigen Debatten um Rammstein, Witt und Konsorten. Da ging es um problematische Bilder, heikle Inszenierungen, das rollende „R“ und um ein fragliches Spiel mit umstrittenen Symbolen. „Freiheit der Kunst!“ riefen die einen und „Ihr ewigen Spielverderber!“ die anderen. Und außerdem: Rammstein und Witt sind ja gar nicht rechts! Das haben sie selbst gesagt.
Weil das stimmt und weil die Riefenstahl-Koketterie Rammsteins und die Flut-Metaphorik Witts trotz allem die Spitze des Eisbergs sind, ist das im Unrast-Verlag unlängst erschienene Buch „Ästhetische Mobilmachung“ (16€) ungeheuer wichtig. Zum einen erklärt es wie reaktionär-faschistoide Ästhetik Teil des Pop-Mainstreams werden kann und dann als scheinbar unpolitische Bildersprache über den Äther flutscht. Zum anderen deckt es diskursive Zusammenhänge auf, die unsichtbare Handschrift rechter Ideologen und Vordenker, die solche Bilder erfunden und populär gemacht haben.
Was die sieben Autoren dieses Buches auf knapp 300 Seiten anschaulich und auch für den Nicht-Szene-Kenner gut nachvollziehbar berichten, lässt sich mit einigen Abstrichen auf jede andere popkulturelle Bewegung übertragen. No matter if Rock, Ska oder HipHop: „Der Tabubruch von heute ist der Mainstream von morgen“ übertitelt Stephan Lindke seinen Beitrag über „die ‚Neue Deutsche Härte’ als ästhetisches Spiegelbild der wiedererstarkten Nation“ und findet damit eine allgemein gültige, fast aphoristische Punchline. Hans Waders stellt die Entwicklung der „Schwarzen Szene“ kurz und kenntnisreich dar und benennt Brüche, Spaltungen und Ausdifferenzierungen – jene Stellen also, wo sich nicht nur musikalisch etwas geändert hat sondern auch neue Erzählungen und Ideologiefragmente hinzugekommen sind. Jan Raabe und Andreas Speit setzen sich mit der historischen Dimension der „Mobilmachung“ auseinander und zeichnen eine Linie „vom antibürgerlichen Gestus zur faschistoiden Ästethik“. Christian Dornbusch, Mitherausgeber des in Kürze erscheinenden Buches „Rechtsrock“ (auch beim Unrast-Verlag), beschäftigt sich mit der Rolle der berüchtigten Nazi-Band Death in June und Thomas Naumann und Patrick Schwarz nehmen die Entwicklung des Szene-Magazins Sigill unter die Lupe. Dabei verlieren sich die Autoren nie in einem feuilletonistischen Geblubber, sondern reflektieren ihre Ausführungen sachkundig entlang sozialer, gesellschaftlicher Realitäten. Die Relevanz des nationalen Diskurses seit 1989 wird dargelegt, aber auch die ideologische Ausstrahlungskraft der Neuen Mitte, die reaktionäre Gesten als ästhetische Provokation verharmlost.
„Ästhetische Mobilmachung“ ist mehr als nur eine Aufsatzsammlung. Die Beiträge sind gut aufeinander abgestimmt, sauber recherchiert und bieten treffende Analysen. Wer bereit ist, über die Wechselwirkung zwischen Pop und Politik nachzudenken, findet hier reichlich Material und Anregung. Darüber hinaus leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zum Thema „Re-Politisierung der Popmusik“, das ja auch seit einigen Ausgaben hier in der INTRO diskutiert wird. Die Autoren weisen nach, dass die Neue Rechte schon lange deep im Popbusiness steckt und von RockNord bis Junge Freiheit eine ästhetische Mobilmachung rechter, anti-modernistischer und anti-aufklärerischer Bilder vorangetrieben wird. Eine solche „Re-Politisierung von Rechts“ hat sich niemand gewünscht. Um so wichtiger, sie jetzt nicht zu unterschätzen.
Short English abstract
Andreas Speit (Ed.)
Aesthetic Mobilization
Right-Wing Ideologies in Dark Wave, Neofolk, and
Industrial
Beyond neo-Nazi skinhead culture, a right-wing music scene with strong aesthetical and mythological overtones is consolidating itself within Dark Wave, Neofolk and Industrial. The scene’s rhythm, poetry and performance promote anti-democratic and anti-emancipatory notions which are not only tolerated, but even accepted by its booming uncritical audience. The authors call attention to the presence of right-wing ideologies in the independent music scene and examine their connections to the extreme political right. Following a general overview of the so-called “Dark Culture”, right-wing labels, bands and publications are analyzed without either exaggerating or trivializing their significance for the scene.
weitere Bücher zum Thema:
White Noise – Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour – Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene
RechtsRock – Bestandsaufnahme und Gegenstrategie
alle Bücher der:
reihe antifaschistischer texte