Gefühlte Geschichte und Kämpfe um Identität
Beschreibung
Zur Aktualität tödlich diskursiver Muster.
Was eine Nation zu einer solchen macht, ist seit langem Gegenstand wissenschaftlichen und politischen Streits: Inwieweit Abstammung, gemeinsame Geschichte, gemeinsame kulturelle, rechtliche oder gesellschaftliche Ordnungen, gemeinsame Feinde oder auch nur der manifeste Wunsch nach Zusammengehörigkeit dafür entscheidend sind, darüber gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. In diesem Band wird der Frage nachgegangen, wie mit den Fragmenten der entsprechenden Diskurse gegenwärtig umgegangen wird, um kollektive Bindungen herzustellen oder zu bewahren, die die machtvolle Durchsetzung partikularer Interessen befördern und die Perspektive einer einigen Welt behindern. Das Erschreckende ist – dies zeigen die hier versammelten Beiträge – der Zynismus, mit dem dabei auf diskursive Muster zurückgegriffen wird, die ihre tödliche Brisanz oft genug erwiesen haben und deren moralische Verurteilung deshalb längst zum pädagogischen Allgemeingut an öffentlichen Schulen gehört.
aus dem Inhalt:
Siegfried Jäger / Franz Januschek: Gefühlte Geschichte und Kämpfe um Identität. Einleitung
Gefühlte Nationalität: Intellektuelle Dumpfplaudereien, kühle Rationalitäten oder verbitterte Reaktionen
Heinz Brüggemann: Martin Walsers »Geschichtsgefühl« – Konstruktion nationaler Homogenität und innerkulturelle Feinderklärung
Alfred Schobert: Endlich ganz normal: Auschwitz und Krieg »sittlich begraben« oder »Lust an der Demokratie« in der »Berliner Republik«
András Kovács: Nato-Beitritt und nationale Identität. Die Beispiele Österreich und Ungarn
Franz Januschek: In der Schwebe: Kosovaren zwischen Freiheit und Unabhängigkeit, Europa und nationaler Identität
Die Schwierigkeit, nicht nationalistisch zu sein: Wir und die Fremden, wir und die Juden
Björn Carius: Im »berechtigten Eigeninteresse«. Die Konstruktion nationaler Identität
Heiko Kauffmann: »Zuflucht gesucht – den Tod gefunden« – Fragen an die deutsche Flüchtlingspolitik
Siegfried Jäger / Margarete Jäger: Die Nahost-Berichterstattung zur Zweiten Intifada in deutschen Printmedien
Barbara Fried: Presse-Reaktionen auf die Studie des DISS »Medienbild Israel. Zwischen Solidarität und Antisemitismus«
Auch heute noch: Der äußere Feind schafft die Nation - und dann verselbständigt sich das Militär als Prinzip
Jürgen Link: Risikoanalytische Überlegungen zur politisch-militärischen Globalisierung im Zeichen des Terrors
Annelie Buntenbach: Globalisierung und neue Kriege
Christoph Weller: Die Aktualisierung kollektiver Identitäten bei der Deutung der Terroranschläge am 11. September 2001
Medien: Gegendiskurse und Wider-Sprüche
Xavier Giró: Konfliktdiskurse in den Medien und Möglichkeiten der Wissenschaft, auf diese einzuwirken
Clemens Knobloch: Populisten sind immer die andern
Autor*innen
Siegfried Jäger (1937–2020), Prof. Dr., lehrte Sprachwissenschaft an der Universität Duisburg und war Leiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS).
Buchveröffentlichungen u.a.: (Hrsg. mit Christoph Butterwegge) Rassismus in Europa. 2. Aufl., Köln 1993; (Hrsg. mit Christoph Butterwegge) Europa gegen den Rest der Welt. Köln 1993; (Hrsg. mit Jürgen Link) Die vierte Gewalt. Rassismus und die Medien. Duisburg 1993; Der Großregulator. Analyse der Bildberichterstattung über den rassistisch motivierten Terror und die Fahndung nach der RAF im Sommer 1993. Duisburg 1993; (Hrsg. mit M. Jäger) Studien zu Rechtsextremismus und (Neo-)Konservatismus. Duisburg 1995; BrandSätze. Rassismus im Alltag. 4. Aufl., Duisburg 1996; Kritische Diskursanalyse. 4. erw. Aufl., Duisburg/Münster 2004; (gemeinsam mit M. Jäger) Gefährliche Erbschaften. Die schleichende Restauration rechten Denkens. Berlin 1999; (Hrsg. mit Alfred Schobert) Weiter auf unsicherem Grund. Faschismus, Rechtsextremismus, Rassismus. Kontinuitäten und Brüche, Duisburg 2000.
NACHRUF auf Prof. Dr. em. Siegfried Jäger
von Regina Wamper, Sebastian Friedrich, Sara Madjlessi-Roudi und Jens Zimmermann – analyse & kritik Nr. 663, 15. September 2020
Prof. Dr. Franz Januschek, apl. Prof. an der Universität Oldenburg, lehrt zurzeit an der TU Braunschweig, Leiter der Sprach- und Kommunikationsberatung „transcribt“ in Oldenburg, Arbeitsschwerpunkte: politische Diskursanalyse
Annelie Buntenbach, Gymnasiallehrerin Geschichte, seit 1982 Mitglied der GRÜNEN, Mitarbeit in verschiedenen Antifa-Initiativen, Mitglied des Deutschen Bundestages seit 1994; Publikationen u.a.: (gemeinsam mit Klaus Dräger und Daniel Kreutz): Zukunftsfähigkeit und Teilhabe, Alternativen zur Politik der rot-grünen Neuen Mitte. Hamburg 2000
Alfred Schobert war seit Anfang der 90er Jahre Mitarbeiter im AK gegen Rechts am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) [Siehe auch dort: Wissenschaftl. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DISS ]; Arbeitsgebiete: Antisemitismus und Antizionismus; Rechtsextremismus und Konservatismus (insbesondere Geschichtspolitik und rechtsextreme Musik-Subkulturen); neuere französische Philosophie; zahlreiche Artikel zu diesen Themen in Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, Freitag, Jungle World, Konkret und Spex.
Alfred Schobert ist am 18. November 2006 im Alter von 43 Jahren gestorben.
Alfred Schobert: Luzider Intellektueller, avancierter Publizist, politischer Wissenschaftler, Streiter für Frieden und Gerechtigkeit. Ein Nachruf von Siegfried Jäger
ABSCHIED. Ein Nachruf von DJ Kersten
Prof. Dr. Heinz Brüggemann, Professor für Neuere deutsche Literatur und Theorie der Literatur an der Universität Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Literatur-und Kulturgeschichte der Wahrnehmung (Raum/Bild/Medien), Intermedialität, Literatur der deutschen Romantik, Ästhetische Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts
Björn Carius, M.A., Germanist, Arbeitsschwerpunkte: diskursive Gruppenkonstitution, Verhältnis zwischen Ideologiekritik und kritischer Diskursanalyse
Barbara Fried, Dipl. Psychologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des American Jewish Committee in Berlin, Arbeitschwerpunkte: Antisemitismus und Geschichtspolitik
Dr. Xavier Giró, Dozent für politischen Journalismus an der Universität Autonòma de Barcelona, Arbeitsschwerpunkte: Medien und Nationalismus, Immigration, Krieg, Frieden und Konflikte
Dr. Margarete Jäger ist Kulturwissenschaftlerin und stellvertretende Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Studien zu Politik-, Medien- und Alltagsdiskursen, insbesondere in Bezug auf Gender, Rassismus, Migration, Rechtsextremismus und Krieg.
Jüngere Veröffentlichungen: 2011: Krieg ohne Ende: Afghanistan und die Medien
in: Rolf van Raden / Siegfried Jäger (Hg.): Im Griff der Medien.
Krisenproduktion und Subjektivierungseffekte, edition DISS, Münster: Unrast;
2010: Rassismus und Normalität im Alltagsdiskurs. Anmerkungen zu einem paradoxem Verhältnis, in:
Anne Broden / Paul Mecheril (Hg.): Rassismus bildet. Bildungswissenschaftliche Beitrage zu Normalisierung und Subjektivierung in der Migrationsgesellschaft, Bielefeld: Transcript;
2008: Deutungskämpfe. Theorie und Praxis Kritischer Diskursanalyse, Wiesbaden: VS (zusammen mit Siegfried Jäger).
Heiko Kauffmann, Pädagoge und Sozialwissenschaftler, Mitbegründer und Vorstandsmitglied von PRO ASYL und Sprecher von PRO ASYL 1994 bis 2002, Träger des Aachener Friedenspreises 2001, Träger des Deutschen Kinderrechtspreises „Blauer Elefant“ 2001, Arbeitsschwerpunkte: Friedens- und Asylpolitik
Prof. Dr. Clemens Knobloch, Sprachwissenschaftler an der Universität Siegen, Arbeitsschwerpunkte: politische Kommunikation.
PD. Dr. hab. András Kovács, Professor an der Central European University, Budapest, Nationalism Studies Program / Jewish Studies Program, Senoir resear-cher im Institute for Ethnic and Minority Research at the Hungarian Academy of Sciences, Arbeitsschwerpunkte: Jüdische Identität und Antisemitismus im Nachkriegs-Ungarn, Erinnerung und Indentität
Prof. Dr. phil. Jürgen Link ist Literatur- und Kulturwissenschaftler an der Universität Dortmund und Herausgeber der „zeitschrift für angewandte diskurstheorie kultuRRevolution“. Arbeitsschwerpunkte: Angewandte Diskurstheorie, Kollektivsymboltheorie, Theorie des Normalismus. Neueste Veröffentlichungen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, 3., ergänzte, überarbeitete und neu gestaltete Aufl. 2006, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.