»Manchmal ist man einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. So ging es Christa Morgenrath, als im Oktober 2021 ihr Telefon nicht mehr stillstand. Der tansanische Autor Abdulrazak Gurnah hatte gerade den Literaturnobelpreis gewonnen. Die deutschen Übersetzungen seiner Bücher waren da größtenteils vergriffen. Drei Jahre zuvor war Gurnah bei der Reihe ›stimmen afrikas‹ zu Gast gewesen, die Morgenrath gemeinsam mit Eva Wernecke seit 2009 organisiert. ›Viele unserer Gäste sind woanders auf der Welt berühmt‹, sagt die studierte Literaturwissenschaftlerin, ›aber in Deutschland werden sie kaum wahrgenommen.‹ […] Das Buch ist ein Schatz‹, sagt Christa Morgenrath, ›es versammelt auf 1000 Seiten die geballte Frauenpower.‹ Kurz nach Erscheinen hat sie es auf dem Festival ›Stimmen Afrikas: Crossing Borders‹ zum ersten Mal gesehen und schnell kam ein Wunsch auf: ›Wie bekommt man dieses Buch auf den deutschen Markt?‹ Die Hindernisse waren groß. Anders als auf dem anglo-amerikanischen Buchmarkt gelten Anthologien hierzulande als schlecht verkäuflich, erst recht, wenn sie von afrikanischen Autor:innen stammen. Welcher Verlag wäre unter diesen Bedingungen und in Zeiten steigender Herstellungskosten bereit, ein 1000 Seiten starkes Buchprojekt zu veröffentlichen? Die kurze Antwort: der Unrast Verlag aus Münster. Die lange: Mit diesen Überlegungen begann ein Prozess des gegenseitigen Lernens und Verlernens. Vier Schwarze Kuratorinnen — die Dramatikerin und Drehbuchautorin Julienne De Muirier, die Performance-Künstlerin donna Kukama, die Spoken-Word-Autorin Emilene Wopana Mudimu, und die Community-Organizerin Glenda Obermuller — stellten gemeinsam mit Morgenrath und Wernecke und in Absprache mit Margaret Busby eine Auswahl von Texten aus dem Original zusammen, bei der sie die Vielfalt von Textformen und geschilderten Erfahrungen und Erzählungen bewahren wollten. ›Der Kurations- und Produktions-prozess hat ein gutes Jahr gedauert«, sagt Christa Morgenrath‹, ›aber für mich als Weiße Frau war er sehr lehrreich.‹ Auch die beiden Übersetzerinnen, Aminata Cissé Schleicher und Eleonore Wiedenroth-Coulibaly, stammen aus Schwarzen Communitys und erklären im Nachwort, dass ihnen die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Dialekten des Englischen dabei geholfen habe, die deutsche Sprache in ihrer Widerständigkeit zu nutzen. Dreißig Texte versammelt die deutsche Ausgabe von Neue Töchter Afrikas auf rund 256 Seiten. ›Die Verschiedenheit dieser Autor:innen konterkariert die immer noch verbreitete falsche Annahme über Schwarze Frauen als homogene Gruppe‹, schreibt die Literaturwissenschaftlerin Marion Kraft. […] In diesen Momenten erinnert Neue Töchter Afrikas daran, dass Literatur mehr ist als nur Texte. Sie ist Teil einer unvollendeten Konversation, in der Menschen erst zu dem werden, was sie sind. « – Christian Werthschulte, stadtrevue, Juni 2023