BrasilienNachrichten über ›Gold, Öl und Avocados‹

UNRAST VERLAG Pressestimmen BrasilienNachrichten über ›Gold, Öl und Avocados‹


»›Wir Lateinamerikaner sind arm, weil der Boden, auf dem wir gehen, reich ist.‹ So beschrieb Eduardo Galeano in den 1970er Jahren in seinem Bestseller Die offenen Adern Lateinamerikas das Dilemma dieses Kontinents – und daran hat sich bis heute wenig geändert. Der britische Journalist Andy Robinson, u.a. Autor beim Guardian, hat sich auf Galeanos Spuren begeben. Entstanden sind authentische Reportagen und profunde Analysen, recherchiert 2019 und 2020 in verschiedenen südamerikanischen Ländern. Brasilien hat er sich besonders intensiv gewidmet. In Gold, Öl und Avocados belegt Robinson, wie es in den vergangenen 20 Jahren weder neoliberale noch linke Regierungen geschafft haben, sich aus der Abhängigkeit der Rohstoffexporte zu befreien.

Der Cerro Rico, 4.800 Meter hoch, nahe der bolivianischen Stadt Potosf, ist für beide Autoren ein Monument für den Raubbau an der Natur seit dem 16. Jahrhundert: erst der Silberrausch der Eroberer und heute der mühsame Abbau des Restsilbers. Dieser ›Reiche Berg‹, so Robinson, ist ›das mächtigste Symbol für die Dependenztheorie‹: der ›Fluch, der periphere Länder mit reichen Ressourcen zum Elend verdammt‹ und seit über 500 Jahren nicht aus den Abhängigkeitsmustern der europäischen Kolonialherren herauszukommen.

Auch der uruguayische Autor Galeano illustriert in seinem Buch, eines der ersten Werke des lateinamerikanischen Postkolonialismus, diese von marxistischen Ökonomen vertretene Theorie an zahlreichen Beispielen. Offensichtlich haben Wirtschafts- und Militäreliten im globalen Süden sowie CEOs und Politiker in den Metropolen des Nordens kein echtes Interesse, das kapitalistische Weltwirtschaftsystem zu überwinden. Die lateinamerikanischen Länder bleiben machtlos gegenüber dem Diktat des freien Markts und abhängig von Spekulationen an den Rohstoffbörsen, wie beide Autoren u.a. an den volatilen Preisen für Lithium, Kupfer und Öl belegen. Die Bemühungen der rohstoffreichen Länder, eine eigene konkurrenzfähige Industrie aufzubauen, sind seit Jahrzehnten wenig erfolgreich.

Neoliberalismus in Chile

Petra-Sozialismus in Brasilien

Zwei Beispiele: Chile war seit Pinochet ein Experimentierfeld für den Neoliberalismus. Das steigerte zwar das Bruttosozialprodukt. Davon profitierte aber nur die Oberschicht, die Gewinne aus dem Kupferabbau einkassierte. ›Vergiftete Bergwüsten‹ und extremer Wassermangel im gesamten Norden führten zu einer Bewegung, die sich schnell ausdehnte: mit Protesten gegen soziale Ungleichheit wie Privatisierung im Bildungs- und Gesundheitswesen. Mit seinem neuen Präsidenten Gabriel Boric aus der linken-ökologischen Protestbewegung steht Chile vor einem schwierigen Neustart. In Brasilien versuchte Lula da Silva in den 2000er Jahren die üppigen Gewinne aus dem Rohstoffgeschäft umzuverteilen, mit die Armut zu bekämpfen. Zudem verfolgte er eine neue eigenständige Industriepolitik. Der brasilianische Ölkonzern Petrobas sollte Motor für einheimische Maschinen- und Infrastrukturunternehmen werden. Unter dem Stichwort ›Petro-Sozialismus‹ berichtet Robinson vom Scheitern der Pläne. 2010 und 2017 führte der Journalist dazu zwei Gespräche mit Sergio Gabrielli, Mitte der 2000er Jahre Chef von Petrobas und enger Verbündeter Lu las. Beide hatten auf die Pre-Salt-Ölfelder gesetzt, wo Milliarden von Barrel Rohöl in der Tiefe im Atlantik schlummerten. Doch zwischen 2013 und 2014 stoppte der Verfall des Rohölpreises den rasanten Petrobas-Aufstieg.

Dann tauchten Korruptionsvorwürfe gegen Lula da Silva und weitere Mitglieder der Arbeiterpartei (PT) auf. Es gab Ermittlungen und Gerichtsverfahren gegen Manager von Petrobas und der Bauindustrie, besonders des Konzerns Odebrecht. Nach Gabriellis Meinung waren die Pläne der linken Regierung und Petrobas auch gescheitert, weil der Preisverfall eine ›von den USA ausgearbeitete Operation‹ gewesen sei. Dieses Argument scheint Robinson noch halbwegs einleuchtend. Dass aber der CIA die Korruptionskampagne angezettelt habe, daran hegt Robinson Zweifel. Doch dem Autor wird bei seinen Recherchereisen bewusst, dass man Südamerika kaum verstehen kann, ,,ohne der Analyse eine Dosis Verschwörung beizumischen, ( … ) in so leicht zu manipulierenden Demokratien, in einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen und einer neuen interventionistischen Agenda der USA‹.

Robinson und Galeano teilen Grundannahmen, bereiten die Themen allerdings völlig anders auf. Und das macht es so reizvoll, beide Bücher nebeneinander zu lesen. Der eine ist ein neugierig reisender Reporter aus dem globalen Norden mit Sympathien für die linken Bewegungen Lateinamerikas. Der andere zählt zu den einflussreichsten linken südamerikanischen Intellektuellen der 1970er und 1980er Jahre. Mit seiner politisch-historischen Analyse gab Galeano damals unmittelbare Impulse für politische Prozesse. Während die Militärdiktaturen sein Werk auf den Index setzten, wurde er zum vielgelesenen linken Kultautor in Europa. Robinson skizziert die linken Theorien nur kurz. Sein Metier ist es, genau hinzuschauen, Szenen lebhaft wiederzugeben. Seine Begegnungen schärfen den Blick für Widersprüche – nicht ohne Biss und erfrischend scharfer Polemik, wenn es um die ›Eliten‹ geht. « – Ulrike Jaspers, BrasilienNachrichten #166- 2022

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