»Schlüsselwörter, also solche, die Sichten auf Welt und Gesellschaft entscheidend zum Ausdruck bringen, ihnen häufig Richtung geben und damit helfen, Definitionsmacht (anders: Hegemonie) durchzusetzen, verdienen besondere Aufmerksamkeit. ›Solidarität‹ gehört zweifellos dazu, allerdings stellt gerade dieser Terminus angesichts seiner vielfältigen Verwendungsweisen in der politischen wie der Wissenschaftssprache, aber auch im Alltag besondere Anforderungen daran, Bedeutungen zu bestimmen und auszuarbeiten. Einige Beiträge im vorliegenden Band helfen hier durchaus weiter, das Gesamtergebnis wirft jedoch eher Fragen auf. Einleitend umreißen Lea Susemichel & Jens Kastner ein sehr weites Feld, auf dem sie ›unbedingte Solidarität‹ geltend machen wollen. Dafür nehmen sie den Terminus ›groundless solidarity‹ der feministischen Theoretikerin Diane Elam in Anspruch (7), der freilich den Bezug auf Bedingung(en) und Bedingtheit offenkundig nicht enthält. Dafür wird so noch deutlicher pointiert, was ›unbedingt notwendig‹, ›dringlich‹ ist (15). Alle möglichen Unterschiede unter den Beteiligten stehen solidarischen Beziehungen demnach nicht im Wege. Das ist angesichts der Erfahrungen einer internationalen Solidaritätsbewegung wenigstens seit über 50 Jahren eigentlich keine Neuigkeit, auch wenn Differenz in diesem Rahmen oft zu wenig bedacht wurde.
Die Einleitung gibt einen Überblick über diverse Problemstellungen und Ansätze, die dem Thema ›Solidarität‹ zugeordnet werden sollen. […] Im Folgenden schreiten die Herausgebenden weitere wichtige Themenfelder ab, die etwa auch care-work einschließen, m.E. freilich eher locker mit Solidarität, eher mit Handlungsmotivationen und -kompetenz verknüpft sind, unter dem Rubrum ›emotional turn‹ etwa auch mit ›Wut‹ (35ff ). Insbesondere geht es um unterschiedliche ›Bündnisse‹ (42) auch über Differenzen und Konflikte hinweg, die ›unbedingte Solidarität‹ gegenüber ›essenzialistische(r) Identitätspolitik‹ (42) geltend macht. Dies schließt Ungleichheit und ›Asymmetrien‹ (43) ebenso ein wie ›Anders-Werden‹ (44). Als strategischen Aussagen ist dem m.E. großenteils zuzustimmen, doch bleibt ein Begriff der Solidarität einschließlich seiner Widersprüche eher vage. Das ist bei einer Reihe von Einzelbeiträgen deutlich weniger der Fall. […] Solidarität ist, soll sie Moment eines gelingenden politischen und gesellschaftlichen Projekts sein, voraussetzungsreich und an zahlreiche Bedingungen geknüpft – eben nur zu haben aufgrund gründlicher Arbeit an Begriff en wie an Beziehungen und geknüpft an die Bereitschaft zu oft auch riskantem Engagement.« – Reinhart Kößler, Peripherie nr. 164, 3/2021