‘Ein neues Buch über die Hintergründe der autoritären Entwicklung in Ungarn
Die innenpolitische Entwicklung Ungarns ist immer wieder Thema innerhalb
der EU. Verstärkt drängen zivilgesellschaftliche Organisationen auf
Sanktionen als Reaktion auf den Rechtskurs der Regierung Orbán, seitdem
diese 2010 mit Orbáns Fidesz-Partei eine überragende Mehrheit erreichte
und die faschistische Jobbik sich als Opposition etablierte. Anders als
vor über zehn Jahren, als in Österreich mit der FPÖ unter Jörg Haider
eine offen rechte Partei in Regierungsverantwortung kam, gibt es jedoch
in der außerparlamentarischen Linken nur wenige Diskussionen über die
innenpolitische Situation in Ungarn.
Da kommt ein Buch gerade Recht, das kürzlich unter dem Titel »Mit Pfeil,
Kreuz und Krone« im Unrast-Verlag erschienen ist und einen fundierten
Überblick über die Entwicklung Ungarns nach rechts gibt. Im ersten
Kapitel geht die deutsch-ungarische Kulturwissenschaftlerin Magdalena
Marsovszky auf die ideologischen Hintergründe der völkischen Entwicklung
in Ungarn ein und zeigt eine jahrzehntelange innenpolitische Entwicklung
nach rechts auf.
Ein zentrales Datum war dabei der Sturm auf das Gebäude des staatlichen
Fernsehens in Budapest am 18. September 2006 durch TeilnehmerInnen einer
Großdemonstration gegen den damaligen Ministerpräsidenten Gyurcsány. In
der darauf folgenden Lynchstimmung gegen Linke, Liberale und kritische
JournalistInnen sei die neue Republik geboren worden, die Orbán zunächst
als Oppositionspolitiker beschworen hatte und nun als Ministerpräsident
vorantreibt.
Präzise beschreibt Marsovszky den nationalistischen Diskurs in der
Geschichtspolitik sowie im Umgang mit den Nachbarländern. Wenn sie mit
Rekurs auf den US-Historiker Fritz Stern resümiert, dass die Angst vor
einer liberalen, offenen Gesellschaft das zentrale Problem in Ungarn
sei, bleibt sie liberalen Gesellschaftsvorstellungen verhaftet. So ist
es auch nur folgerichtig, dass Marsovszky bei ihrer Beschreibung der
oppositionellen Kräfte in Ungarn die kleine kommunistische
Arbeiterpartei mit keinem Wort erwähnt. Dabei gab es mehrere
Strafprozesse gegen Mitglieder dieser Partei, weil sie weiterhin
kommunistische Symbole wie Hammer und Sichel in der Öffentlichkeit
zeigten, die in Ungarn kriminalisiert werden.
Antiziganismus, Homophobie und Antisemitismus
Im zweiten Kapitel geht der in Hamburg lebende Publizist Andreas Koob
auf die Feindbilderklärung gegen Sinti und Roma, aber auch den
Antisemitismus und die Homophobie in Ungarn ein. Koob macht an
zahlreichen Beispielen deutlich, wie marginal die Unterschiede zwischen
Fidesz, Jobbik und rechten Bürgerwehren besonders in der ungarischen
Provinz oft sind. Vor allem in kleineren Orten führt dieses
Zusammenwirken zu einem Klima der Ausgrenzung und Diskriminierung
insbesondere gegenüber Sinti und Roma. Eine wichtige Rolle spielt dabei
auch ein von der Regierung beschlossenes Gesetz, das Erwerbslose, die
öffentliche Leistungen bekommen, zu einem strengen Arbeitsregime mit
ständiger öffentlicher Kontrolle verpflichtet.
Der Publizist Holger Marcks geht im dritten Kapitel auf die Wirtschafts-
und Sozialpolitik der ungarischen Regierung ein, die in der öffentlichen
Debatte bisher selten erwähnt wird. Er macht deutlich, dass es sich hier
um eine Wirtschaftspolitik handelt, wie sie viele völkische Gruppen
schon vor 100 Jahren propagierten und die auch auf das Programm der
frühen NSDAP großen Einfluss hatte. Der Kampf gegen ausländische Banken,
aber auch Großorganisationen wie den IWF gehört ebenso zu den Elementen
dieser Wirtschaftspolitik wie die Propagierung des Schutzes der
heimischen Industrie und des Mittelstandes.
Trotz aller Kritik erhält die Fidesz-Partei nach wie vor Unterstützung
durch die europäischen Konservativen und auch durch PolitikerInnen aus
CDU und CSU. Ungarn könnte daher, so die Befürchtung der AutorInnen,
durchaus eine Pilotfunktion haben, indem es völkisch-rechte Politik in
der EU wieder salonfähig macht. Ein Grund mehr, dass die Linke darüber
diskutiert.’
Peter Nowak, ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 584 /
21.6.2013