»Ein wenig beleuchteter Aspekt des Lookismus ist der abgespaltene Blick auf sich selbst. Es geht im vorliegenden Buch vor allem um den fremden Blick, der beschämt, zu verstärktem Anpassungsverhalten oder zerstörter Selbstachtung führt. Wenn aber der fremde Blick der eigene ist, wird es wirklich kompliziert, weil sich das Empowerment gegen einen selbst richten müsste. Es wäre schön, ganz ehrlich zu wissen, ob man den Sport aus Spaß treibt oder um dünn und fit zu sein. Ob man sich auch mit behaarten Beinen trauen würde, ungehemmt Sex zu haben. Ob man seinen Partner begehren würde, wenn er immer noch total klug und lustig, aber richtig dick wäre. Ob man also sein Begehren disziplinieren könnte, aber in Richtung einer Freiheit von Ressentiments.
Und worüber man auch noch nachdenken darf: Ist die gesellschaftlich vorgeschriebene Arbeit am fitten Normkörper nicht eigentlich eine endlose Verlängerung der Arbeitszeit, damit wir angesichts der fortschreitenden Automatisierung nicht auf dumme Gedanken kommen? Denn realistisch betrachtet, ist die körperliche Leistungsfähigkeit im Spätkapitalismus ziemlich überflüssig.
Bringt uns der Begriff des Lookismus nun irgendwie weiter? Sagen wir so: Er ist ein offenes Fenster zu tiefer liegenden Strukturen. Letztlich gilt es, beim Ausufern der Antidiskriminierungsdebatten das gemeinsame Ziel nicht aus dem Augen zu verlieren: auf der Gleichheit der Menschen unter allen Voraussetzungen zu beharren und das eigene Denken zu reflektieren.« – Susan Geißler, junge Welt, 30. Juni 2017