‘Sag das mal den Bankern
Neo-Individualliberalismus 2011: Matthias Mergl hat ein Buch über den »Terror der Selbstverständlichkeit« vorgelegt
»Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden« – nein, das ist nicht die DDR-Verfassung, sondern das Grundgesetz der BRD«
Matthias Mergl hat den Begriff erfunden und den »Neo-Individualliberalismus« vor geraumer Zeit den Lesern der jungen Welt vorgestellt. Jetzt gibt es das Buch dazu, einen Hundertseiter, mit Witz geschrieben, gut lesbar und gut einzustecken, zum Preis von einer Kinokarte: »Der Terror der Selbstverständlichkeit, Widerstand und Utopien im Neo-Individualliberalismus«. – Ja, mir gefällt das Buch. Ich werbe dafür. Ich kann auf ungeahnten Feldern damit was anfangen.
Mergl gibt zunächst eine kompakte Übersicht. Auf 15 Seiten. Was ist das für eine Bewegung, die alle Emanzipationsutopien für verwirklicht erklärt und damit alle kollektiven Aktionen für substanzlos? Der Autor verweist in Fußnoten auf eine Fülle von Quellen und erfreulicherweise auch auf die drei W’s. Wem der Text nun sehr dicht vorkommt, wird es begrüßen, daß Mergl unversehens von der akademischen Objektivität in die Ich-Form wechselt, seiner persönlichen Beteiligung Raum gebend. Wer nach diesen 15 Seiten denkt, daß jetzt aber Butter an die Fische muß, denkt richtig. Denn im folgenden, langen und lebhaften Gespräch mit Wolfgang Müller werden wir mit einer Flut gut plazierter Anekdoten versorgt.
»Wie kann der aktuellen Anästhesie gegenüber struktureller Gewalt und wachsender sozioökonomischer Ungleichheit Widerstand geboten werden«? Strategien, Doppelstrategien, die überaffirmative Strategien, – sie werden im Schlußkapitel vorgestellt, nachdem »Ideologie und Körperpolitik« und queere Rassifizierungspolitik erörtert sind.
Mergl streitet sich nicht mit anderen Autoren. Er beobachtet. Er sammelt Fakten. Er nimmt wahr. Diese Wahrnehmungsstrategie ist in der Lage, das zu fassen, was von der politischen und medialen Tagesordnung mit Fleiß abgesetzt ist und abgesetzt bleibt, eben die aktuelle Anästhesie gegenüber personenübergreifenden Zusammenhängen. Letztlich hat in den Medien, in den Zeitungen die Seite »Leute« alles andere verdrängt. (…)
Mergls »Widerstand und Utopien im Neo-Individualliberalismus« hat mich motiviert, den Mund aufzumachen. Danke fürs Zuhören.
Matthias Mergl: Der Terror der Selbstverständlichkeit – Widerstand und Utopien im Neo-Individualliberalismus. Unrast, Münster 2011, 108 Seiten, 9,80 Euro’
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