»Ein Buch der Arbeitsgemeinschaft Gender-Killer erkundet den Zusammenhang von Antisemitismus und Geschlechterbildern.
Die Beiträge dieses Sammelbandes sehen einen Zusammenhang zwischen dem Bild vom „jüdischen Körper“ und patriachalen Geschlechtskonstruktionen die dem „jüdischen“ den „arischen Körper“ gegenüberstellen. Antisemitismus und patriachale Geschlechterbilder berühren sich für die AutorInnen dabei nicht am Rande, sondern sind untrennbar miteinander verwoben. Insbesondere im nationalsozialistischen Antisemitismus wurden dabei die Bilder vom „deutschen Mann“ und der „deutschen Frau“ durchaus widersprüchlichen Bildern des „Jüdischen“ gegenübergestellt, die vom effiminierten „jüdischen Mann“ bis zum „jüdischen Vergewaltiger“, „Kinderschänder“ oder „Mädchenhändler“ einerseits und von der verführerischen und doch unglücksverheissenden „schönen Jüden“ bis zum „jüdischen Mannweib“ reichten. Was diesen Geschlechterbildern gemeinsam war, war die Abweichung vom „Normalen“, von dem wie der „deutsche Mann“ und die „deutsche Frau“ zu sein haben. Die Beiträge von Christina von Braun, Klaus Hödl, Eva-Maria Ziege, Hildegard Frübis, Meike Günther, Bini Adamczak, Elke Frietsch, Michael Moreitz und Jeanette Jakubowski werden von einem gemeinsamen Beitrag der A.G. Gender-Killer eingeleitet, der bereits sprachlich klar macht, dass es sich bei den dabei analysierten Geschlechterbildern um Projektionen und Konstruktionen handelt. Um dies zu unterstreichen verwenden die AutorInnen Sonderzeichen, die hinter dem jeweiligen Begriff klar machen sollen, dass entweder von einer Fremdprojektion oder von einem identifikatorischen Selbstbild der AntisemitInnen gesprochen wird, nicht aber von „realen“ Jüdinnen und Juden bzw. „realen“ Arierinnen oder Ariern. Körperbilder sind für die AutorInnen ein fester Bestandteil antisemitischer Ideologie, sind Teil ihrer Herstellung: /„Der rassistische Antisemitismus bestand nicht aus einem wie auch immer gefassten Kern – der Rassentheorie oder der Idee des Blutes -, der dann durch Geschlechterbilder zur Erscheinung gebracht wurde, sondern Antisemitismus selbst muss schon als eine Praxis verstanden werden, die erst im Moment ihrer Artikulation zur Existenz gelangte“/ (S.9)
Anhand von NS-Propagandafilmen wie /Der ewige Jude /oder antisemitischer Literatur wie Arthur Dinters 1917 erschienenen Roman /Die Sünde wider das Blut/ werden die antisemitischen Körperbilder des „Jüdischen“ herausgearbeitet. Dabei zeigt sich, dass der Körper nicht neutral, sondern moralisch höchst aufgeladen gezeichnet wird. In diesem Zusammenhang wird Dinter zitiert: /„Der Körper ist ja nur das Instrument auf dem die Seele spielt. Ein hoch entwickelter Geist kann nur in einem hochentwickelten Organismus leiblichen Voraussetzungen finden, sich auszuwirken. Ein tiefstehender oder schlechter Geist sucht sich umgekehrt einen der Tierheit noch näher stehenden Körper aus, um seinen niederen Trieben und Lüsten zu fröhnen. So dienen die höheren Rassen vorwiegend hohen und guten, die niederen vorwiegend niederen schlechten Geistwesen zur Wohnung auf der Erde nicht umsonst schließen wir vom äußeren auf den inneren Menschen.“/ (S.13 ff)
Tatsächlich zeigt sich im Laufe der Säkularisierung und der Emanzipation des europäischen Judentums, das sozusagen die Juden in der Gesellschaft zunehmend „unsichtbarer“ machte, da sie nicht mehr mit den äußerlichen Merkmalen orthodoxer Jüdinnen und Juden auftraten, dass für Antisemitinnen und Antisemiten der „jüdische Körper“ immer wichtiger wurde. Gerade weil Jüdinnen und Juden nicht mehr äußerlich unterscheidbar waren, wurde immer verzweifelter nach körperlichen, „angeborenen“ Unterschieden gesucht, wurden diese auf das Körperliche zielenden Projektionen immer wichtiger im antisemitischen Diskurs. Die zunehmende Unsichtbarkeit von Jüdinnen und Juden führte zu immer ausgefeilteren „Methoden“ der Antisemitinnen und Antisemiten Jüdinnen und Juden durch vermeintlich angeborene „Rasseeigenschaften“ kenntlich zu machen.
Um genau diese Bilder und die entgegengesetzten Selbstbilder des antisemitischen Subjektes geht es den AutorInnen und HerausgeberInnen der A.G. Gender-Killer in diesem Buch, wobei nicht nur historische Beispiele aufgegriffen werden, sondern auch nach gegenwärtigen Beispielen und Konsequenzen für die Linke gesucht. So geht Bini Adamczak in ihrem Beitrag dem /„Essentialismus und Antiessentialismus in queerer und antinationaler Politik/“ nach oder beschäftigt sich Jeanette Jakubowski mit /„Walsers Griff in die antisemitische Mottenkiste oder die verführerische Macht der jüdinnen- und judenfeindlichen Stereotype/“.
Das Buch zählt mit seinen tatsächlich recht que(e)r zu sich überschneidenden Themen, die jedoch nur selten gemeinsam gedacht werden, sicher zu den lesenswertesten Neuerscheinungen zum Thema Antisemitismus der letzten Jahre.« – Thomas Schmidinger, Israel Nachrichten Nr. 11332, 9. Juni 2006