»Das Buch ›Desert‹ [Unrast; 2016] wagt sich an ein Thema ran, dem eigentlich weitaus mehr Aufmerksamkeit gebührt: Bis in die 2040-2050 Jahre werden die massiven Folgen des Klimawandels eskalieren und die Welt, wie wir sie kennen und wie sie die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte existierte, wird eine ganz andere sein… Fatale Naturkatastrophen, massives Artensterben, das Entstehen riesiger Wüsten, das Schmelzen von sonst vereisten Gebieten, all das wird ›viele weitere‹ Fluchtwellen, kalte und heiße Kriege, failed states, überall entstehende Slums und Aufstände hervorbringen. Das spannende ist, dass das Buch dieses Szenario nutzt um der Leserin einerseits eine große Desillusionierung über die niemals eintretende Weltrevolution
nahezubringen. Diese wird laut dem Buch nämlich niemals stattfinden. Doch stattdessen versinkt der Text im Folgenden dann nicht bei dem Blick in den Abgrund, sondern schöpft aus der Hoffnungslosigkeit die Kraft anarchistische Möglichkeiten in einer zerbrechenden Welt zu sehen. Die These des Buches ist, dass etliche verschiedene Szenarien gleichzeitig eintreten werden und sich parallel total unterschiedlich entwickeln: Auf der einen Seite die extrem repressiven technologischen Smart-City Staaten mit vielen Anarchisten in ihren Kerkern – auf der anderen Seite verlassene Gebiete, failed states, Bürgerkriege und Aufstände. Sicherlich inspirierend ist zum Beispiel das Kapitel über ›Afrikanische Wege zur Anarchie‹ in welchem nahe gelegt wird, in kleinen vagabundierenden und/oder selbstversorgenden Gemeinschaften inmitten des Chaos der zusammenbrechenden Welt die Anarchie zu suchen. Auf jeden Fall
lohnt es sich das Buch zu lesen und zu diskutieren, da es in gewisser Art und Weise die ›Apokalypse-Blindheit‹ links liegen lässt und dem uns drohenden Grauen ins Auge blickt. Nicht darüber zu sprechen, was das für die Gegenwart bedeutet, scheint Konzept des Buches zu sein – obwohl sich tatsächlich schon viele der befürchteten Katastrophenszenarios im Hier und Jetzt ankündigen und letztendlich auch weitaus früher eintreten könnten. Was mich an dem Buch stört ist eine kontinuierliche kommunalistische
Romantisierung von Selbstversorgung, welche permanent hochstilisiert wird, genauso wie jede Form von Gemeinschaft und Gemeingütern [›commons‹] etc. Außerdem frage ich mich, inwieweit es nicht sehr naiv ist zu glauben, dass Staaten sich einfach so bei Katastrophen und ähnlichem zurückziehen werden oder in Luft auflösen, weil ein Land ökonomisch nicht mehr ertragreich ist. Ist die Staatlichkeit nicht viel mehr, also die Rolle des Bürgers, die soziale Kontrolle, die Militarisierung des Gebiets etc., die zwar bröckeln und brechen kann, aber wird der Staat diese einfach aufgeben? Auf dieser These bauen viele weitere auf und ich befürchte die Annahme, dass viele Staaten einfach so verschwinden werden ist auch der Grund, warum der anarchistische Vorschlag des Buches recht schwammig ist, soll heißen ein großes vielfältiges, pluralistisches Alles und Nichts… aber ob dieses den
Krisen gebeutelten Staat verschwinden machen wird?« – Rodriguez, In der Tat, Heft 9, Herbst 2020