»Die Queer-Theorie sei ›eine Disziplin, die sich nicht disziplinieren lässt‹, sagt die Queer- Theoretikerin Nikki Sullivan. Das Zitat ist dem nun auf Deutsch erschienenen Sachcomic Queer. Eine illustrierte Geschichte vorangestellt, der sich zwar nicht die Disziplinierung, aber zumindest eine Einführung in die komplexe und oft so widersprüchliche queere Theoriebildung vorgenommen hat. Die Vieldeutigkeit beginnt schon beim Begriff queer, der ein (wiederangeeignetes) Schimpfwort ebenso meinen kann wie die Zugehörigkeit zur LGBTIQ-Community sowie andere Formen von Marginalisierung, und schließlich auch die Ablehnung jeder Form von festschreibender Identitätskategorie. Ähnlich divergent ist auch die akademische Disziplin, deren Begründung Teresa de Lauretis zugeschrieben wird, die 1990 eine gleichnamige Konferenz organisierte. Doch bereits drei Jahre später distanzierte sie sich von dem, ihrer Meinung nach bereits ›inhaltsleer‹ gewordenen Begriff. Der äußerst lehrreiche, sehr differenziert argumentieren-de und anschaulich gestaltete Comic widmet sich neben der Theorie aber auch queerem Aktivismus, geht auf politische Initiations-momente wie Stonewall ein und erklärt praxisnah etwa den Unterschied zwischen Heteronormativität und Homofeindlichkeit. Es wird betont, wie wesentlich Intersektionalität für die Queer-Theorie ist und gleichzeitig die Dominanz weißer und westlicher Theoriegeschichte eingeräumt. Vorläufertheorien wie die kritische Sexologie und der Poststrukturalismus werden ebenso vorgestellt wie wichtige Vordenker:innen und intellektuelle Impulse, die der Dekonstruktion von Subjektivität dienten. Der Comic liefert auch das Rüstzeug, um sich in aktuellen Diskursen zurechtzufinden, die Differenzen zwischen Queer-Theorie und bestimmten feministischen Strömungen zu verstehen oder die erbitterten Debatten um Trans-Rechte. In diesem Zusammenhang wird betont – und darin besteht trotz aller Unterschiede vielleicht der verbindende Kern queeren Denkens, dass queer immer ein Tun und kein Sein ist, ein Sowohl-als-auch und kein Entweder-oder.« – Lea Susemichel, an-schläge, 3/2022