Von Gerhard Hanloser – 10/2008
Abraham H. Foxman, Direktor der US-amerikanischen Anti-Defamation-League, stellt im Zuge der Finanzkrise in den USA einen wachsenden Antisemitismus fest, der hauptsächlich in Internet-Einträgen zum Ausdruck kommen würde. Die Wall Street, Goldman Sachs, der Finanzkonzern Lehman Brothers, würden von Juden geführt und angeleitet werden, so die klassisch antisemitische Verschwörungstheorie. Hinter der Finanzkrise, so das antisemitische Unbewusstsein, stecken die Juden. Foxman weist auf einige offen antisemitische Organisationen und deren Webpages hin, wie die Neo-Nazi-Gruppe Stormfront, die mit einer solchen Propaganda an die Öffentlichkeit geht. Große Wirtschaftsforen wie Yahoo! Finance löschten etliche antisemitische Kommentare, aber die Flut der antisemitischen Statements sei so groß, dass die Verantwortlichen mit dem Löschen kaum nachkämen. Dass die islamistische Bewegung Hamas offensichtlich mit antisemitischer Erklärung der Finanzkrise aufwartet, und dabei klassischen Antiamerikanismus und Antisemitismus im Medium der Verschwörungstheorie miteinander verbindet, überrascht all jene nicht, die mit dem Phänomen des „islamisierten Antisemitismus“ (Michael Kiefer) und dem Transfer eines klassisch-modernen und europäischen Feindbildes in den Palästina-Konflikt vertraut sind. Aus Deutschland sind solche Fälle von antisemitischem Raunen noch nicht im größeren Stil bekannt. Natürlich hetzt schon seit Jahren der rechtsextremistische Rand um die NPD gegen das „jüdische Finanzkapital“. Dieser Antisemitismus ist eine Option auf Gewalt und Totschlag. Er markiert auch die Zugehörigkeit zu einem subkulturellen Milieu, dass teilweise gerade in dieser Marginalität und im Zustand der Extralegalität eine Lebensform zu finden meint. Doch jenseits dieser Randgruppen, die ein Thema für und von Verfassungsschutzorganen sind, muss ein kritischer Theoretiker nach der Wirkmächtigkeit des Antisemitismus in der bürgerlichen „Mitte“ fragen.
Kann Antisemitismus zu einem wirkmächtigen, sozialpsychologisch stabilisierend wirkenden Reaktionsmuster, wie zu einem staatlich eingesetzten Mittel der Krisenbewältigung werden, die sich beide freilich mit der wirklichen Krise des Kapitals nicht konfrontieren möchten?
In der Geschichte
Wir kennen die Verbindung von Krise und Antisemitismus aus der deutschen Geschichte. Nach 1873 waren es auch glühende Liberale, die urplötzlich im Zeichen der Krise das antisemitische Ressentiment bedienten. Otto Glagau und andere Kommentatoren wollten nach der Gründerkrise das „Manchestertum“ und den „krassen Materialismus“ verantwortlich machen. „Manchestertum und „Judentum“ wurden dabei immer öfters als Synonyme verwendet. Das Judentum kenne nur den Handel, sein Zentrum sei die Börse: Diese antisemitische Propaganda kulminierte in dem Satz: „Die soziale Frage ist wesentlich Gründer- und Judenfrage, alles übrige ist Schwindel.“ Adolf Stoecker und die Christlich-Soziale Partei radikalisierte diese Haltung im Sinne des preußischen Ultrakonservativismus und formulierte in Ansätzen bereits einen eliminatorischen Antisemitismus. Stoecker vertrat als einer der ersten eine Dichotomie, ein Manichäismus, der in der Geschichte des Antisemitismus noch Karriere machen sollte: gute deutsche Industriearbeit auf der einen Seite, böse jüdische Börsenspekulation auf der anderen. Die Affirmation der Industrie geht einher mit der Verdammung des Börsenkapitals und der auch als jüdisch markierten revolutionären Sozialdemokratie. „Marx und Lassalle haben das Problem nicht nach der Börse, sondern nach der Industrie hin gesucht, die Industriellen für alle sozialen Mißstände verantwortlich gemacht und den Haß der Arbeiter auf sie gelenkt. Unsere Bewegung korrigiert das etwas: wir zeigen dem Volk die Wurzeln seiner Not in der Geldmacht, dem Mammongeist der Börse.“
Doch in der Bismarckschen Politik nach der Krise hatte zumindest ein solcher vehementer, offener Antisemitismus keinen Platz. Stoeckers Partei wurde de facto verboten. 1889 erzwang Bismarck eine öffentliche Verzichtserklärung auf aktive politische Betätigung Stoeckers und 1890 wurde er als Hofprediger abberufen. Dass heißt nicht, dass Antisemitismus von Bismarck aktiv bekämpf worden wäre, diese Aufgabe fiel im Großen und Ganzen der Sozialdemokratie zu. Er blieb als strategisch einsetzbares Instrument der Herrschenden erhalten. Der marxistische Autor Ulrich Enderwitz hat den Antisemitismus unter der Bismarkschen Herrschaft als „Erziehungsinstrument“ bezeichnet. Die bürgerliche Klasse sollte stärker an den Staat gebunden werden. Der Bürger sollte als pflichtbewußter Staatsbürger funktionieren. Die bloß egoistische Bourgeosie-Seite wurde abgespalten, verdammt und im Juden personifiziert exkommuniziert – gleichsam als Warnung für den Bürger, nicht aus der Staatsverantwortung auszuscheren. Der Antisemitismus wurde hier zynisch funktional eingesetzt. Ihm entbehrte von Seiten des Staates jedoch eine eliminatorische Qualität, die nach dem Großen Kriseneinbruch von 1929 und der Machtergreifung der NSDAP in einem im Krieg kumulativ gesteigerten Prozess auf barbarische Weise anwesend sein sollte.
Klassenkampf
Heutzutage macht sich in der bürgerlichen Mitte kein Antisemitismus in Verbindung mit der Finanzkrise breit. Der offener Antisemitismus – und das Zusammenziehen von Geld, Börse und „dem Juden“ wäre ein solcher – ist tabuisiert. Auch muss man nicht mehr die fundamentalen Kritiker des Kapitalismus und seiner Krisen, die noch dazu als Lösung eine klassenlose Gesellschaft propagierten, verdammen – wie mit Marx und Lassalle zu Stoeckers Zeiten geschehen. Die damaligen fundamentalen Kritiker der kapitalistischen Gesellschaft traten nie als Juden auf, wenn sie solche denn waren, die Marxisten aus jüdischen Elternhäusern wollten diesen Partikularismus und diese Identität und Identifizierung weit von sich weisen. Gerade sie mussten von den nationalistischen Hetzern in abwertender Weise auf ihr „Judentum“ verpflichtet werden, um die Option der Klassenlosigkeit im nationalistischen Gebrüll zu ersäufen. Heutzutage sind im deutschen Diskursraum keine radikalen Kapitalismuskritiker mehr anzutreffen, die sich mit einer Basis verbinden könnten.
In der heutigen Antisemitismus-Forschung wird gerne übersehen, was allen großen Theoretiker des Antisemitismus von Friedrich Engels, über Jean Paul Sartre bis zu Horkheimer und Adorno evident war, dass nämlich der Antisemitismus als Gegenbewegung zur starken, noch revolutionär gesonnenen Sozialdemokratie und gegen den Klassenkampf entstand. Und es wird auch nicht gerne gehört, dass nicht wenige intellektuelle Juden (nicht nur) in Deutschland ihren Weg fanden an die Seite der kämpfenden Klasse gegen das Kapital. „Das deutsche Judentums“ – was immer das auch sein mag – unterlag einer radikalen politischen Neuzusammensetzung. Der analytisch schwache Pro-Kapitalist und Konformist Henryk M. Broder hat die Non-Konformisten und Antikapitalisten Karl Marx, Walter Benjamin, Ernst Toller abgelöst. Ein rabiater, an der bisherigen Ordnung der Dinge festhaltender Antisemitismus, der anti-marxistisch argumentiert, muss da kaum losgetreten werden.
Gerede von „Gier“
Rabiater Antisemitismus, der wieder von der „Macht der jüdischen Finanzoligarchie“ raunt, ist also, um das deutlich zu sagen, ein Thema für die Polizei (und wenn die es nicht tut, für die Antifa) und keines für kritische Theorie. Kritische Theorie konnte mit ihrer Darstellung des Antisemitismus als Teil der bürgerlichen Ordnung noch beunruhigen und nicht zuletzt deswegen auf einen radikalen Umbau der vorhandenen Gesellschaft drängen. Die heutigen Bekundungen und Feststellungen, dass in der Krise wieder Antisemitismus entstehe, wirken dahingegen beruhigend. Man verweist auf geisterbahnhafte Neonazis, damit die flotte Fahrt bald wieder aufgenommen werde, als wäre nichts geschehen. Man muss über den Kapitalismus nichts kapiert haben, man braucht lediglich zu bekunden, dass die antisemitische Reaktion darauf unterirdisch und gefährlich ist – was für ein beruhigender Allgemeinplatz. Kritische Theorie will aber nicht beruhigen.
Beunruhigender sind allerdings um sich greifende Phänomene, die scheinbar gar nichts mit dem historischen Antisemitismus zu tun haben. Absolut weit verbreitet und bereits hegemoniefähig ist das populistisches Gerede über die „Gier“ der Spekulanten und Banker. Die Analyse eines individuellen oder gar völkerpsychologisch behaupteten Fehlverhaltens weitete sich noch aus, wenn es um die scheinbaren Ursachen der aktuellen Krise geht. In den beliebten, gegen George W. Bush gerichteten Antiamerikanismus, dem nun selbst die FAZ mit ihrem Redakteur Frank Schirrmacher mit diversen Kommentaren die Pforte geöffnet hat, mischt sich auch eine Verachtung des angeblich typisch angelsächsischen Lebens auf Pump, das die US-Mittelschicht gefrönt habe. Gier aller Orten. Verantwortungslos, der Amerikaner, raunt es aus deutscher Tiefe. Tatsächlich wurde die proletarisierte US-Mittelschicht, die nicht etwa über ihre Verhältnisse gelebt hat, sondern deren working-poor-Verhältnisse kaum ein Ansparen erlaubt, keine andere Möglichkeit offeriert, als sich für ihre Häuser zu überschulden. Der Staat hat nichts getan, um eine weitere Verarmung der Mittelschicht zu stoppen. Der öffentliche Sektor zerfällt, so griff die US-Mittelschicht zu der Strategie, das, was der Staat nicht hergibt, sich vom Immobilien- und somit Kreditmärkten zu nehmen, um ihren bisherigen Lebensstandard vorerst zu halten und möglichst auch den eigenen Kindern zu ermöglichen.
Tatsächlich soll da, wo redundant von „Gier“ die Rede ist, auch wenn sie nur die Börsianer meint, vom Profitsystem und den Interessens- und Machtstrukturen, die ein solches in bestimmten Bereich zugelassen haben, geschwiegen werden. Wenn auf Banker, Börsianer, Broker gezeigt wird, macht sich eine Haltet-den-Dieb-Mentalität breit, die zwar im Unterschied zum Antisemitismus tatsächlich auf einzelne Profiteure des Finanzmarkt dominierten Kapitalismus zeigt, aber die Umlenkungsfunktion des klassischen Antisemitismus bleibt erhalten. Soll doch die Anklage von Fehlverhalten einzelner den Kapitalismus als ganzes aus der Schusslinie nehmen.
Neben der Ablenkungsfunktion, die der Antisemitismus stets einnahm, hat der Antisemitismus auch die Funktion in der Markierung einer „Nation in der Nation“, einer a-nationalen oder antinationalen Gruppe. Damit sollten die Subalternen auf den eigenen Nationalstaat verpflichtet werden. Vice versa wollte sich der Subalterne mittels Antisemitismus seine Teilhabe als Deutscher beim Nationalstaat einklagen. Noch wurden die Banker und Spekulanten nicht als von antinationalen Motiven geleitete Gruppe im großen Stil markiert. Und die handfest-antisemitische Markierung „des Juden“ blieb ebenso aus. Dennoch waren die letzten Wochen vorallem eine Einübung in die Akzeptanz des Ausnahme- und Notstandsstaates.
Autoritäre Liberale
Nach den neoliberalen Zeiten der propagierten „Überregulierung“ Deutschlands und der natürlich vom und durch den Staat forcierten De-Regulierung, ist nun Regulation und Regulieren das große Stichwort der Zeit. In der FAZ wird nach Jahren der Staatsschelte wieder im Leitkommentar liebevoll vom „Vater Staat“ gesprochen. In Anschluss an Adorno und Horkheimer Diktum aus „Elemente des Antisemitismus“: „Aber es gibt keine Antisemiten mehr. Sie waren zuletzt Liberale, die ihre antiliberale Meinung sagen wollten“, könnte man sagen: Heutzutage gibt es nur noch Neoliberale, die wieder einen Ordnungsrahmen wollen. Workfare-Warfare-Atlantizisten, die ihre antiamerikanische Meinung sagen wollen. Beschwörer des Ausnahmezustands, die aber bloß keine DDR oder eine an Roosevelt erinnernde keynesianische Politik haben wollen. Sie alle stehen hinter Merkel und Steinbrück wie ein Mann. Staat wird wieder groß geschrieben. Dabei war er nie verschwunden. Tatsächlich wird vergessen gemacht, dass die Ausrichtung auf den von den USA ausgehenden Finanzmarkt dominierten Kapitalismus vom deutschen Staat unter der Führung von Rot-Grün ausging. Der Staat soll nun in Zeiten der Krisenhaftigkeit und Chaosanfälligkeit des kapitalistischen Gesellschaftssystems, nicht nur neue „Pläne“, neue „Modelle“ auf den Weg bringen, sondern vor allem zusammen schweißen, Beruhigung signalisieren, die Behauptung, wir säßen alle im gleichen Boot zementieren. Der slowenische Philosoph Zizek hat ganz richtig festgehalten: „Wenn wir uns durch den Plan, die Banken zu retten, gleichsam erpresst fühlen, sollten wir uns klarmachen, dass diese Erpressung durchaus funktioniert.“ Die Alternativlosigkeit des Kapitalismus, die eher dem Scheitern sämtlicher Alternativen als seiner Pracht und Herrlichkeit geschuldet ist, macht es nicht mehr nötig, über Klassengrenzen hinweg bonapartistische Blöcke, zwischen Banken und von Abstieg bedrohter Mittelschicht beispielsweise, zu bilden – und dabei eine Gruppe vehement bis terroristisch auszuschließen. Private Altersvorsorge, Aktienbesitz und Mitarbeiterbeteiligung haben schon längst einen Bonapartismus in Permanenz installiert.
Der Staatsantifaschist guckt gut staatsbürgerlich auf die Neonazis und ihre Agitation vom „jüdischen Finanzkapital“, der kritische Antifaschist zeigt sich dahingegen irritiert, wie bruch- und fraglos ein an Carl Schmitt erinnernder Ausnahmezustand von Merkel und Steinbrück unter Zuhilfenahme einer inexistenten wirklichen Opposition ausgerufen werden konnte. Nur wenige Kommentatoren haben auf Ähnlichkeiten zum historischen Faschismus hingewiesen, wie nun in der Art staatsmonopolistischer Interventionen Staat und Banken festere institutionelle Strukturen zur Sicherung des Profits vereinbaren. Joachim Hirsch machte darauf aufmerksam, dass der „deutsche Faschismus, mit dem hierzulande auf die Krise der dreißiger Jahre reagiert wurde, (…) eine Art Modell abgeben (könnte), nur dass dieser Prozess nun nicht mehr die Beseitigung demokratischer Verhältnisse erfordert, sondern im Rahmen der längst zur Formalität verkommenden liberaldemokratischen Strukturen vorangetrieben werden kann.“ Dennoch wäre es sehr verfrüht von einem „Staatskapitalismus“ oder „finanziellen Faschismus“ zu sprechen – auch nicht für die USA und England. Die Initiative liegt bei den Banken, sie und nicht der Staat diktieren „Staatsfonds“ und Teilverstaatlichungen.
Welche Krise?
In welcher Einmütigkeit Kriegseinsätze der Bundeswehr verlängert und Notstands-„Rettungspakte“ für Banken verabschiedet werden, ist erschreckend. Die FAZ erinnert schon an Wilhelm, den II. und dessen Verkündung, wonach er in dieser Stunde nur noch Deutsche und keine Parteien mehr kenne. Der „Parteienzwist“, so verkündet nicht nur ein dauerstrahlender Peter Hahne, spiele nun in Gefahr und größter Not keine Rolle mehr. Auch die Partei der Linken kann keine Fundamentalopposition sein, solange sie selbst dem Staats-Fetisch huldigt und nicht ihren potentiellen Wählern den reinen Wein einschänken will, nämlich dass jede Verstaatlichung, sollte sie den unteren Klassen etwas bringen, in eine Vergesellschaftung münden müsste, die auch florierende Unternehmen einschlösse.
Die Nationalsozialisten an der Macht wollten keine Krise kennen, Ernst Bloch hat darauf aufmerksam gemacht, dass sie diesen an Marxismus erinnernden Begriff zuerst in ihren offiziellen Bekundungen verschwinden ließen. Heutzutage ist viel von Krise die Rede, Marx ziert das Titelbild der Frankfurter Rundschau und wird auch von FAZ-Kommentatoren zumindest erwähnt. Doch welcher Art die Krise ist, wird gerne verschwiegen. So wird von einer Vertrauenskrise, aber auch einer Bankenkrise, einer Liquiditätskrise, einer Mittelschichtskrise gesprochen. Tatsächlich haben wir es mit einer Vertiefung der seit den 70er Jahren existenten Krise der kapitalistischen Produktionsweise zu tun. Eine Revolution der Erwartungen hat das fordistische System an seine Grenzen gebracht, von Stagflation war in den 70ern die Rede. Die Antwort war die neoliberale Konterrevolution ab den 70er Jahren. Sie schaffte es nicht, ein neues Paradigma produktiver Vergesellschaftung hervorzubringen. Ihre einzige Strategie bestand in der Zerstörung der bisherigen Klassenkompromisse. Sowohl klassenpolitisch als auch ideologisch muss von einem relativen Erfolg des Neoliberalismus als Zerstörungsprogramm ausgegangen werden. Als produktive Vergesellschaftung scheiterte der Neoliberalismus auf der ganzen Linie. Die Ausweitung des Billiglohns und elender Arbeitsverhältnisse ging nicht einher mit einer Ausweitung produktiver Arbeit, die gleichzeitig Konsummöglichkeiten der unteren Klassen, wie in der Phase des gewerkschaftlichen Hochfordismus, offeriert. Das bei großen Vermögensbesitzern angehäufte Kapital suchte die Beschäftigung mit sich selbst auf den Finanzmärkten. Die Illusion, dass aus Geld mehr Geld werden könne ohne Produktion, also eine rein monetäre Kapitalverwertung möglich sei, prägte diese als Neoliberalismus bezeichnete Phase des Kapitalismus. Der Traum ist vorerst geplatzt.
Gibt es Glasbruch?
Was tun? Was nicht tun? Nicht der Glasbruch bei Banken sollte erschreckt erwartet werden – irrsinnige Theorien über „strukturellen Antisemitismus“ im Hinterkopf, die meinen, eine handfeste Abneigung gegen reale Verkörperungen des Finanzkapitals sei an sich schon antisemitisch. Erschrecken sollte die absoluten Ruhe und das Ausbleiben des Glasbruches – gerade in Deutschland. Die populistische Schelte der Banker, die Steinbrück in abgehackten Sätzen präsentiert und dabei gleichzeitig eben diesen ein Geldpäckchen schnürt, soll von einem wirklichen plebejischen Aktionismus abhalten. Aber auch hier muss nicht viel unternommen werden: die Deutschen waren schon immer recht schnell nicht mehr revoltierender Pöbel, sondern gern geführtes Staatsvolk. So sind auch die historischen Transformationen des Antisemitismus keineswegs beruhigend: Vom Vormärz-Radau ging es zum „Antisemitismus der Vernunft“, der schließlich sechs Millionen Juden ermordete. Damit die heutzutage regierende instrumentelle Vernunft der Ökonomie, deren Leichenberge schon lange nicht mehr gezählt werden, weitergehen kann, braucht es eine gute Dosierung von verkündeter Alternativlosigkeit und kalkuliertem Populismus, der im Falle der Banker denjenigen, die er markiert und hemdsärmelig angreift, nicht wirklich weh tut. Hetze gegen die Juden als formierende Ordnungsideologie ist da nicht mehr nötig.
Das Buch zum Thema:
Gerhard Hanloser
Krise und Antisemitismus
Eine Geschichte in drei Stationen von der Gründerzeit über die Weltwirtschaftskrise bis heute
ISBN-10 3-89771-423-X | ISBN-13 978-3897714236
136 Seiten | 13.00 Euro
Antisemitismus als Krisenregulierungsstrategie in der Gründerzeit, NS und New Economy.