Gallerytalk über ›Die Linke und die Kunst‹

UNRAST VERLAG Pressestimmen Gallerytalk über ›Die Linke und die Kunst‹

»(…)Das Buch war in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung. Auf dem Titel als ›Ein Überblick‹ über das komplizierte Verhältnis der Linken zur Kunst getriggert macht der Autor keine Gefangenen: Auf den rund 300 Seiten tummeln sich ordentliche 778 Fußnoten, darunter alle üblichen Verdächtigen, von Proudhon und Adorno über Marcuse bis Foucault und Rancière, natürlich inklusive Karl Marx und Friedrich Engels, mit denen die Argumentation folgerichtig auch startet. Jens Kastner ist hier fraglos ein toller Überblick gelungen, auch an anderer Stelle als er womöglich selbst geplant hat. Denn auch wenn er in 12 thematischen Kapiteln nach ästhetischen Begriffen in allen denkbaren, linken Theorieströmungen fahndet und hier auch reichhaltig fündig wird, ist es doch erstaunlich, wie ganz automatisch und en passant ein bunter Strauß linker Gesellschaftsvorstellungen mitvermittelt wird: Die marxistisch-leninistische Theorie findet ihren Platz ebenso wie der Anarchismus, und die Kritische Theorie; die Situationist*innen, Materialist*innen, Postoperaist*innen, Poststrukturalist*innen, Feminist*innen, Black Activists und viele andere scheinen auf in diesem kulturwissenschaftlichen Lesebuch, das immer wieder neu und dringlich die Frage nach der Kunst stellt, aber auch immer wieder dieselbe Antwort findet: Die Kunst, sie ist für die linken Denker*innen fast immer Mittel zum Zweck, oft Gehilfin auf dem Weg zur neuen Gesellschaft, mindestens mentales Öffnungsprogramm für die Masse, fraglos pädagogisches Werkzeug für die linke Avantgarde.

Nirgends im Buch wird das deutlicher als im ersten Kapitel, wenn Kastner den Philosophen Michail Lifschitz mit den Worten zitiert: ›Die Bedeutung der Theorie von Marx wäre selbst dann für die Philosophie der Kunst enorm gewesen, wenn wir nichts von den ästhetischen Ansichten der Begründer des Marxismus wüßten‹ (S. 27). Wie kann das sein? Das kann deshalb sein, weil Marx die Kunst schlicht und dankbar als Fortführung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln (miss-)versteht.

Womöglich wäre es tatsächlich besser gewesen, Marx’ ästhetische Ansichten nicht zu kennen, lobt er doch das wirklich alles andere als subtile Historienbild ›Die schlesischen Weber‹ von Carl Wilhelm Hübner als Werk, das ›verständlicherweise so manches Gemüt für soziale Ideen empfänglich macht.‹ Hier liegt das Problem: Offenbar verwechseln einige der politischen Theoretiker*innen auch aus solchen historischen Gründen gerne Kunst mit Ästhetik und setzen diese dann ein für Propaganda oder Pädagogik. Nun haben diejenigen Kunstwerke, die sich aus fachlicher Sicht ernstnehmen lassen und darum auch den besonderen Schutz eines vorderen Grundgesetzartikels genießen, aber vorerst weder Zweck noch Auftrag. Dieser kann und wird nachträglich entstehen, muss es aber nicht, und vor allem ist er nicht planbar. Es würde die Kunst auch sofort dem Verdacht aussetzen zusätzlich noch etwas anderes zu sein als Kunst (zum Beispiel Propaganda).

Der Widerspruch wird im Fazit des Buchs thematisiert, doch fällt die ideologische Vereinnahmung des Kunstbegriffs in den verschiedenen Theorien deutlich auf: Immer geht es um die Erreichung der sozialistischen Utopie, und daraus abgeleitet letztlich um die Nutzbarmachung ästhetischer Autorität. In diesem Vereinnahmen der kulturellen Mittel erweisen sich einige linke Vordenker eben als ganz grauenhaft verblendete Kunstbanausen, was man daran sieht, dass Marx‘ Sympathie für die ›Schlesischen Weberinnen‹ recht ähnlichen Wurzeln entspringt wie ein paar Jahrzehnte später Martin Heideggers unangenehme Vorliebe für die von Van Gogh gemalten, schmutzigen Arbeitsschuhe (›weil man im Bild so ehrlich das Wesen des Arbeiterdings selbst erkennen mag …‹). Heidegger war als biedermeierlich-kleinbürgerlicher NS-Günstling relativ unverdächtig, marxistische Theorien verinnerlicht zu haben. Ein eher überschaubares, programmatisch geprägtes Kunstverständnis, gänzlich unbelastet von der modernen Kunstavantgarde, hatten indes beide Theoretiker (was man Heidegger natürlich stärker anlasten kann als Marx).

Dieser Text ist keine Kritik am Buch, das hervorragend recherchiert und (einem trainierten Fachpublikum) in Sprache und Argumentation absolut gewinnbringend ist. Und er ist auch eine Gratulation zu Kastners Kunstgriff, in mehrere Argumentationsstränge Michel Foucault einzuweben, der zweifellos zur Untermauerung der linken Idee Großes beigetragen hat, in seinem vorzüglichen Verständnis für das Vage und Poetische der Kunst die übliche linke Lesart der Ästhetik aber freilich um Längen überschreitet und auch bloßstellt.

Darum ist dieser Text nicht als Polemik gemeint, nicht gegenüber ›der Linken‹, erst recht nicht gegenüber dem Autor. Der Kommentar ist vielmehr eine von viel Sympathie für die linke Sache geprägte Kritik am hier intern herrschenden Kunstverständnis, das über weite Strecken leider derart eindimensional und konfliktlos ist, dass im Kontext eine konkrete Unterscheidung der ästhetischen Theorie von der Gesellschaftstheorie schlicht überflüssig ist. Darum ist das Buch für die aktuelle Debatte enorm wichtig, weil es hilft, diese politische Vereinnahmung zu verstehen und es möglich macht, die ästhetisch relevante Kunst nach Kräften vor ihr zu schützen.« – Marian Wild, Gallerytalk, 17. Mai 2021

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