»Ca. zwei Jahre nach seinem viel zu frühen Tod hat jetzt der linke Unrast-Verlag das Buch ›Aus der Zwischenwelt. Ein Leben auf der Flucht vor dem deutschen Staat‹ von Bernd veröffentlicht. Eine Mischung aus Autobiografie und fiktionalem Geschehen in der sogenannten Zwischenwelt. Ein Abwechseln vom Leben in Kreuzberg als Autonomer der 1980er und 90er Jahre und dem Dahindümpeln als Toter in der Zwischenwelt, weil man dem Fährmann nicht den nötigen Obolus für die Überfahrt ins Totenreich bezahlen kann.
Der Kniff ist gut und geht auf – die Zwischenweltepisoden sind spannend, abwechslungsreich und gut geschrieben. Begegnungen mit Alexandra Kollontai und anderen mehr oder wenigen realen Personen finden statt und sind voll von interessanten politischen und philosophischen Betrachtungen über das Leben, den Tod und die Politik.
Die Kapitel über das reale Leben in Kreuzberg sind angenehm gewürzt mit einer guten Prise Selbstironie über eigene Unzulänglichkeiten beim Einstieg in die autonome Szene. Sie sind eine realistische Darstellung des Lebens und Kämpfens einer bestimmten Kreuzberger Autonomenfraktion, die in den 80er Jahren ziemlich hegemonial war und weitgehend den Takt im Kiez bestimmt hat. Eine gewisse Verfremdung von Aktionen, Zusammenhängen und Adressen hat stattgefunden, um dem Staatsschutz auch 30, 40 Jahre später möglichst wenig Informationen zu geben, damit unvollendete Akten und Verfahren nicht im Nachhinein noch gefüllt werden können. Auch wenn alle beschriebenen Aktionen und Zusammenhänge nicht nur juristisch, sondern leider auch politisch offensichtlich verjährt sind. Die beschriebenen Strukturen auch inklusive der Geschlechterverhältnisse sind jedenfalls ein realistisches Abbild jener Zeit und bilden sicherlich gelungenen Lesestoff nicht nur für jüngere Aktivist*innen der heutigen Zeit.
Es geht u.a. um die Organisierung öffentlicher und auch militanter Politik in Kreuzberg 36 und überregionaler Antifapolitik. Bei letzterem stehen die Anklänge an die norddeutschen Antifastrukturen der 80er Jahre unübersehbar Pate, die auch bereits in anderen Büchern Erwähnung gefunden haben.
Es gelingt hierbei dem Autor gut, sich jeder Larmoyanz darüber zu enthalten, wie viel besser diese Zeiten doch angeblich gewesen sein sollen – sie werden einfach beschrieben und sind damit ein weiterer positiver Beitrag zur oral history im linksradikalen Milieu. Aber positiverweise auch frei von heldenhaften Selbstbeschreibungen oder -beweihräucherungen. Seine eigene Verirrung, im früheren Leben Polizist gewesen zu sein, spart der Autor glücklicherweise nicht aus.
Auch jenseits der ›großen‹ Politik beschreibt Bernd Heidbreder die politisch-privaten Verhältnisse in WGs, ehemals besetzten Häusern und Dynamiken in Gruppen, welche schnell in diverse Richtungen kippen können.
Wer/welche allerdings Neues über die gescheiterte Aktion in Grünau – die versuchte Sprengung des in Bau befindlichen Abschiebeknastes im April 1995 – erwartet, der/die wird allerdings enttäuscht werden. Bernd zog es vor knapp 20 Jahren mit zwei anderen Genossen vor, sich den deutschen Strafverfolgungsbehörden zu entziehen und lebte seitdem irgendwo und mindestens die letzten 10 Jahre in Venezuela.« – Links-Lesen.de-Kollektiv im Januar 2024
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