Contraste über ›Einen Westen hat es nie gegeben & Fragmente einer anarchistischen Anthropologie‹

UNRAST VERLAG Pressestimmen Contraste über ›Einen Westen hat es nie gegeben & Fragmente einer anarchistischen Anthropologie‹

»Die beiden Texte des Sozialanthropologen und Anarchisten David Graeber (1961–2020), die der Unrast Verlag deutschen Leser*innen 2022 in der Übersetzung von Werner Petermann posthum zugänglich machte, vermitteln inspirierende Einblicke in dessen Vorstellung einer alternativen Anthropologie. Einer Anthropologie (Wissenschaft vom Menschen), die geeignet ist, den Glauben an die Möglichkeit einer anderen Welt jenseits von Kapitalismus und Patriarchat, frei von Staat, struktureller Gewalt, Ungleichheit und Herrschaft zu stärken. Die hier erstmals auf deutsch vorgelegten ›Fragmente einer anarchistischen Anthropologie‹ von 2004 und die Streitschrift ›Einen Westen hat es nie gegeben‹ (zuerst 2007) verweisen auf den reichen Schatz menschlicher Möglichkeiten in Vergangenheit und Gegenwart, die der scheinbaren Unvermeidbarkeit unserer aktuellen gesellschaftlichen und politischen Institutionen etwas entgegensetzen und so die Hoffnung auf weniger entfremdete Formen der Lebensgestaltung nähren können.

Indem Graeber die Standarderzählung von der ›Westlichen Zivilisation‹ in geradliniger Folge von der Antike bis heute in Frage stellt, dekolonisiert und dezentralisiert er den immer noch vorherrschenden Blick auf die Entwicklung der Menschheit als notwendigerweise auf die heutige Wirtschafts- und Herrschaftsform zulaufend. Indigene Gemeinschaften, so zeigt er, haben historisch vielfältige selbstbestimmte basisdemokratische Lebensweisen praktiziert und tun dies weiterhin – so wie die Zapatistas mit ihrer Idee ›einer Welt, in die viele Welten passen‹ (…). Gerade angesichts einer angeblichen Alternativlosigkeit des zerstörerischen globalisierten Kapitalismus wirkt Graebers hier in Ansätzen vorgestellte Perspektive auf den Verlauf der Geschichte ermutigend: Geschichte wird gemacht – und wir sind aufgefordert mitzumachen.

Den angeblich universellen Umschwung von der steinzeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaft zur landwirtschaftlichen Zivilisation und zum Primat des Privatbesitzes samt daraus folgender Bürokratie und sozialer Hierarchie erklärt er für keineswegs unvermeidlich. Vielmehr vermittelt Graeber eine optimistische Sicht auf die Kooperationsfähigkeit und die Erfindungsgabe der Menschen seit ihren Anfängen. Er analysiert die Reduzierung der Demokratie im atlantischen System auf ihre repräsentative Variante und konfrontiert sie mit seinem Befund, dass der Prozess der Konsensfindung in den frühen und indigenen Communities generell Abstimmungen gegenüber bevorzugt wurde und wird.

Wem dieser kompakte Einblick in Graebers Perspektive auf das Weltgeschehen gefällt, bekommt wahrscheinlich auch Lust auf seinen gemeinsam mit dem Archäologen David Wengrow verfassten Bestseller ›Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit‹ (2022).« – Ariane Dettloff, Contraste, Januar 2024