»(…) Mit der ›materialistischen Wende‹ innerhalb der Queer Studies, setzte sich eine Kritik der Ungleichheit in vermeintlich am Kapitalismus desinteressierten Theorieströmungen durch. Aktivist*innen of Colour, trans Aktivist*innen und andere analysierten anhand ihrer Subjektposition die Ungleichheit innerhalb ihrer Communities. Zwar waren und sind diese Analysen nicht immer materialistisch eingebettet, können aber Anknüpfungspunkte liefern. Im englisch- und französischsprachigen Raum machen sich Autor*innen und Aktivist*innen schon länger auf die Suche nach Gemeinsamkeiten. ›Der Ansatz dieser Autor*innen und Aktivist*innen besteht meist darin, eine Focaultsche Analyse mit einer materialistisch-marxistischen zu verbinden. Sie denken die Konstitution der sexuellen und geschlechtlichen Subjektivität sowohl in einem Regime der Normalisierung (was Focault als Unterwerfung im und durch den Zusammenhang Macht/Wissen bezeichnet hat), als auch in einem Regime der kapitalistischen Akkumulation, das seinerseits mit einem Regime der institutionellen Regulierung verbunden ist. Sie verbinden somit eine Analyse hinsichtlich des Komplexes ‘Macht/Wissen’ mit einer Reflektion, die sich mit kapitalistischer und staatlicher Herrschaft befasst‹, schreibt Sophie Foyé.
Durch die sich gegenseitig befruchtenden Ansätze werden die Leerstellen der letzten Jahrzehnte deutlich: Bisher schafften es Queer Theories nicht, zu beantworten, warum es zu geschlechtlicher Unterdrückung kommt. Im Gegensatz dazu spielten marginalisierte Subjektpositionen als Teil der Analyse innerhalb marxistischer Strömungen nur eine nebensächliche Rolle und, dabei wurden die Differenzen innerhalb der Klassen aus dem Blick verloren.
Doch gerade zusammen ermöglichen diese Theorien ein neues Feld für potenzielle feministische Praxis. Im Nachwort resümiert Herausgeberin Friederike Beier: ›Ein materialistischer Queerfeminismus zeigt im Anschluss an marxistische und queerfeministische Theorien auf, inwiefern Geschlecht verbunden mit Sexualität und Begehren durch den Kapitalismus zu einer zentralen Ordnungskategorie der Gesellschaft wurde‹ und bietet mit dem Aufsatz von Holly Lewis – ›Zehn Leitsätze für eine queer-marxistische Zukunft‹ – direkt einen Ausweg aus den Widersprüchen zwischen Queer Theory und historischem Materialismus an. (…)
Mit der Übersetzung und Zusammenführung wichtiger Grundlagentexte des queer-materialistischen Feminismus hat Herausgeberin Friederike Beier eine polarisierende Leerstelle im deutschsprachigen Diskurs gefüllt. Das Buch gibt einen wichtigen Impuls in den deutschsprachigen Diskurs, sich nicht in Gegensätzen zu verheddern, sondern sich an den Gemeinsamkeiten in Theorie und Praxis zu orientieren. Denn, wie im Aufsatz ›Queerer Materialismus im Anschluss an Judith Butler und Karl Marx‹ diskutiert wird, die Spaltung zwischen Queer Theory und materialistischen Feminismen droht nicht nur, die feministische Bewegung zu schwächen. Sie bietet auch ein Einfallstor für reaktionäre Angriffe auf die bereits erkämpften Verbesserungen der Situation von Frauen, trans Personen und Queers.
›Doch wie können wir für eine Zukunft kämpfen, in der es keinen marxististischen Feminismus oder queeren Marxismus mehr bedarf. In einer solchen Zukunft gibt es nur noch eine internationale Bewegung zur Enteignung der Enteignenden, eine Bewegung, in der traditioneller und oppositioneller Sexismus als Bedingung und Folge von Ausbeutung angegangen werden. Dies ist die einzige Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt.‹
Mit diesen Fragen vor Augen sollten weiterführenden Diskussionen geführt werden. Dieses Buch bietet eine breite Grundlage und gibt einen Anstoß zu spektrenübergreifender Solidarität.« – Pajam Masoumi, analyse & kritik 698, 14. November 2023
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