kritisch-lesen.de über ›Class Power!‹

UNRAST VERLAG Pressestimmen kritisch-lesen.de über ›Class Power!‹


»Man kennt das Problem: Im Plenum sieht man stets die gleichen Gesichter und die Diskussionen in der eigenen Wohlfühlblase drehen sich im Kreis. Selbstverständlich reflektiert man sich und seine eigene Rolle kritisch. Das Hauptproblem ändert sich aber nicht: Die akademisch geprägte Linke ist konstant mit defensiven Kämpfen beschäftigt. Hier gegen einen drohenden Naziaufmarsch, dort gegen das umweltschädliche Bauprojekt. Man ist immer nur reaktiv, hat kaum gesellschaftliche Verankerung im Alltag und keine langfristige Strategie, weil man lieber seinen unverständlich komplizierten theoretischen Unterbau hegt und pflegt. Wie soll man der Masse das bessere Leben näherbringen, wenn diese sich nicht damit beschäftigt?

Um das zu ändern, sind die Mitglieder des Londoner Kollektivs AngryWorkers aus ihrem Viertel weggezogen und haben mehrere Jahre im Billiglohnsektor im Westen Londons gearbeitet. Genau dort liegt ein Zentrum für Warenproduktion und Logistik. Die Erfahrungen, die sie über mehrere Jahre in den unterschiedlichsten Betrieben und Sektoren gesammelt haben und ihre daraus abgeleiteten Thesen präsentieren sie in Class Power! Über Produktion und Aufstand. Trotz zunehmender Modernisierung und Automatisierung gibt es immer noch prekäre Arbeiter:innen. Sie wurden lediglich an den Rand der Stadt gedrängt und dadurch unsichtbar gemacht. Viele der Arbeiter:innen sind Ungelernte, das Viertel ist geprägt von Migration, Zeitarbeit und Mindestlohn. Es herrscht wenig Arbeitslosigkeit, weil ›irgendeinen Scheißjob gibt es immer‹ (S. 47).

Den AngryWorkers geht es keinesfalls darum, als Prediger:innen die Massen zu erreichen und ihnen von oben herab die Welt zu erklären. Es soll ein Austausch in Gang gebracht werden. Nach einem harten Arbeitstag ist für die Meisten die Hemmschwelle zu groß, sich noch mit linker Theorie auseinanderzusetzen. Stattdessen geht man den umgekehrten Weg: zuerst die Praxis, dann die Theorie. Erst wenn sich hier Erfolge zeigen, kann darauf aufgebaut werden. Durch eigene Arbeitskämpfe sollen Arbeiter:innen die Vorteile der Selbstorganisation erfahren.

[…] Es ist nicht Ziel des Buches, eine perfekte Blaupause für Arbeiter:innenorganisationen zu liefern. Jede:r der Beteiligten hat die Hoffnung, dass ihre Kolleg:innen durch kleine Erfolge selbst ermutigt werden, aufzustehen und aktiv zu werden. So viel vorweg, oft kommt es nicht dazu. Da es sich hauptsächlich um prekär Angestellte handelt, sind diese froh, sobald ihr akutes Problem gelöst wird. Für weiteren Aktivismus fehlt den Betroffenen oft die Zeit und die Energie. ›Geduld mag eine Tugend sein, aber für Arbeiter:innen, die demoralisiert von einem Job zum nächsten ziehen, hat sie wenig Bedeutung.‹ (S. 257) Solidaritätsnetzwerke sind eben kein Wohlfahrtsverein, sondern müssen selbst aktiv mit Leben und Protest gefüllt werden, auch wenn es keine Erfolgsgarantie gibt. Natürlich dauert es lange, um Menschen mit den eigenen Inhalten zu erreichen und den Funken des Protests zu entzünden. Die AngryWorkers haben nur den ersten von vielen Schritten gemacht. Und sie sind noch nicht am Ende. Selbst wenn es mal nicht funktioniert, der Kampf geht weiter. Wir lernen aus den Fehlern und sind beim nächsten Mal besser organisiert.

Die AngryWorkers haben sich nicht wie Günther Wallraff verkleidet und berichten jetzt aus der Gosse. Die Autor:innen waren sie selbst, wollten die Grenzen des bisher Möglichen sprengen und teilen ihre Erfahrungen schonungslos offen mit uns. Zugegeben, mit über 520 Seiten ist das Buch ein ganz schöner Wälzer und schreckt erst einmal ab. Es ist aber auch nicht wie eine Doktorarbeit geschrieben, sondern relativ einfach formuliert und liest sich flüssig. Für die pure Fülle an Erfahrungen lohnt sich die Lektüre allemal. Hier werden Erfahrungen aus der Praxis geteilt und Anregungen geliefert. Und ist mehr Praxis nicht genau das, was wir brauchen?« – Yannik Stein, kritisch-lesen.de, 11. April 2023

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