kritisch-lesen.de über ›Die modernen Wanderarbeiter*innen‹

UNRAST VERLAG Pressestimmen kritisch-lesen.de über ›Die modernen Wanderarbeiter*innen‹


»›Schuften für das Bio-Öko-Paradies‹ war die Reportage überschrieben, in der die Journalisten Stefan Dietl und Tobias Eisch in der Wochenzeitung Jungle World 50/22 über die wachsende grenzüberschreitende Arbeitsmigration in Europa berichteten. ›Nicht nur Waren überqueren täglich Ländergrenzen und Kontinente, sondern auch ihre lohnabhängigen Produzenten und Produzentinnen. In Europa wuchs seit dem Zusammenbruch des real-existierenden Sozialismus und der Osterweiterung der Europäischen Union insbesondere die befristete Arbeitsmigration‹, schreiben Dietl und Eisch. In der Reportage wird deutlich, wie damit arbeitsschutzrechtliche Standards angegriffen werden. ›Die Saisonarbeit ist geprägt von mangelhafter Unterbringung, Lohnraub, Arbeitszeitbetrug und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen‹, lautet das Fazit der beiden Autoren. Wer sich mit dem Thema genauer befassen will, sollte zu dem 2021 im Unrast-Verlag erschienenen Buch Die modernen Wanderarbeiter*innen greifen, das Stefan Dietl gemeinsam mit Kathrin Birner herausgegeben hat. Der Untertitel ›Arbeitsmigrant*innen im Kampf um ihre Rechte‹ macht deutlich, worum es den beiden Herausgeber*innen geht. Sie beklagen nicht in sozialkonservativer Manier, dass durch die Arbeitsmigration angeblich ein Unterbietungswettbewerb bei Löhnen und Arbeitsrechten einsetzt. Für Dietl und Birner sind die Arbeitsmigrant*innen auch nicht hilflose Opfer kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse. Sie sehen diese als Teil der transnationalen Arbeiter*innenklasse, die sich durchaus auch organisieren und um ihre Rechte kämpfen können.

[…] Daher ist das Buch Die modernen Wanderarbeiter*innen mit Gewinn zu lesen. Sie sind meistens unsichtbar und halten den kapitalistischen Alltag auch in Deutschland am Laufen. Das wurde in der Corona-Pandemie besonders deutlich, als diese Wanderarbeiter*innen beispielsweise als sogenannte Erntehelfer*innen beim Spargelstechen in den Fokus der medialen Öffentlichkeit gerieten. Da nahmen auch manche linken Beobachter*innen scheinbar zum ersten Mal wahr, dass der Kapitalismus auf Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft beruht. Die Empörung in den Jahren 2020/21 war vor allem moralisch grundiert. Die betroffenen Arbeiter*innen wurden oft wie unmündige Kinder behandelt, die jetzt vor der Einreise nach Deutschland geschützt werden sollten. Was das für die Beschäftigten aus Osteuropa bedeutete, die den Lohn ihrer Arbeit oft schon in ihre Planungen einkalkuliert hatten, wurde selten thematisiert. Dietl und Birner hingegen gehen in ihrem informativen Buch von den Interessen dieser migrantischen Beschäftigten aus[…]

In Berlin war im Herbst 2014 das Büro der Basisgewerkschaft Freien Arbeiter*innen-Union (FAU) die temporäre Bleibe für acht rumänische Bauarbeiter der Mall of Berlin, die es als Mall of Shame bald zu unrühmlicher Bekanntheit brachte. Auch dieser Arbeitskampf wird von Dietl und Birner in einem eigenen Kapitel als ›Symbol für den Widerstand migrantischer Beschäftigter‹ (S. 115) gewürdigt. Dass sie mehrere Prozesse gewonnen, aber am Ende ihren Lohn nicht bekommen haben, zeigt auch, wie schwer es ist, die Gesetze des Kapitals zu durchbrechen, die im Fall der Mall of Shame dafür sorgten, dass der Generalunternehmer nicht in Haftung genommen werden konnte.

Da hilft nur die Selbstorganisation der Beschäftigten und eine solidarische Öffentlichkeit. In der Danksagung hoffen Birner und Dietl, dass ihr Buch ein wenig dazu beitragen kann. Das könnte auch deshalb gelingen, weil es anders als die meisten wissenschaftlichen Bücher zu diesem Thema in einer leicht lesbaren Sprache geschrieben ist und einen guten Überblick über die Thematik gibt. Einzig: Als Handreiche für die Praxis wäre am Ende eine Liste mit Internetadressen für solidarische Netzwerke und Gruppen hilfreich gewesen.« – Peter Nowak, kritisch-lesen.de, 11. April 2023

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