»Nachdem das Thema Überwachung und Kontrolle jahrelang nur wenig Protest hervorgerufen hat, haben sich seit den zunehmenden Überwachungsmaßnahmen im Internet seit 2007 breitere Bündnisse gebildet, bundesweite Aktionstage und Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmenden fanden statt.
Die Initiative ›Leipziger Kamera‹ engagiert sich seit 2003 gegen Überwachung – u.a. mit überwachungskritischen Stadtführungen, Vorträgen, Kampagnen- und Bündnisarbeit, Radio gegen Überwachung und Kontrolle, Verleihung des Leipziger Erich-Mielke-Gedächtnispreises und einem Kamerastadtplan der Leipziger Innenstadt. ›Vom Anbeginn unserer Arbeit haben wir die allgegenwärtige Ausweitung von Überwachungspraktiken als Symptom des Wandels kapitalistischer Regulation begriffen. Dadurch unterscheiden wir uns von der liberalen Mehrheit der Datenschützer_innen und Bürgerrechtler_innen. ‹ Mit Kontrollverluste hat die Initiative eine umfassende Zusammenstellung zum Thema herausgegeben und darin 33 Texte größtenteils bekannter linker AktivistInnen, Gruppen und kritischer WissenschaftlerInnen versammelt, die verschiedenste Aspekte von Überwachung aus unterschiedlichen Perspektiven behandeln. Aktuelle Entwicklungen im Überwachungsbereich und deren gesellschaftlicher Kontext (›Die Kontrollgesellschaft ist auch eine Zuschauergesellschaft‹) werden analysiert, kritische Blicke auf aktuelle Bürgerrechtskampagnen geworfen, die staatliche Repression gegen linke AktivistInnen (Betroffene der mg-Überwachung und Verfahren), sowie in den üblichen Debatten oftmals übersehene betroffene Gruppen wie MigrantInnen, Erwerbslose, Jugendliche und Frauen beschrieben.
›Solange wir in Verhältnissen leben, die fortwährend Verlierer und ›Überflüssige‹ produzieren, so lange braucht es auch Überwachung, um diese Verhältnisse aufrecht zu erhalten und die Unzufriedenen und Ausgeschlossenen zu kontrollieren. Daher lässt sich Überwachung nicht als isoliertes Phänomen betrachten. (…) Gegen das Wuchern der Kontrollmechanismen muss auf vielen Ebenen gleichzeitig gekämpft werden, und gerade die Vielfalt der Handlungsrepertoires könnte letztlich Erfolge ermöglichen. Nicht eine Strategie ist die richtige. Interventionen mit juristischen Mitteln mögen in ihrer Tragweite begrenzt sein, trotzdem wäre es falsch, auf diese Mittel zu verzichten. Gleiches gilt für Interventionen, die mit dem Mittel der künstlerischen Irritation versuchen, Bewusstseinsbildungsprozesse anzuregen, für direkte Aktionen gegen Überwachungsinfrastrukturen ebenso wie für theoretische Kritik der Voraussetzungen der Überwachung und den Versuch, andere mit Argumenten zu überzeugen. ‹
Leider wird die überwachungskritische Praxis weniger ausführlich dargestellt als die Analyse. Neben einigen wenigen Kapiteln (u.a. Polizeikontrollstelle Potsdam, Surveillance Camera Players New York, Radiogruppe LIGNA Hamburg) werden künstlerische Interventionen der Londoner Space Hijackers in Fotos dargestellt. Interessant wäre es gewesen, mehr über diese und weitere praktische Interventionen – gerade auch die der ›Leipziger Kamera‹ selbst – erfahren zu können.« – Marc Amann go.stop.act!, 18. Mai 2009