»Die COVID-19-Pandemie offenbart wie in einem Brennglas viele Probleme, die in der kapitalistisch organisierten Gesellschaft ohnehin bestehen. Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse gehören dazu. Die Liste prekärer bzw. atypischer Beschäftigungsarten ist lang. Sie lassen sich zum einen rechtlich in Beschäftigungsformen wie Minijobs, Leiharbeit und Saisonarbeit kategorisieren. Zudem gibt es Branchen, in denen verstärkt prekäre Beschäftigungsformen auftreten, etwa das Reinigungs- oder das Baugewerbe, Transport und Logistik, die Pflege oder die Landwirtschaft. Und es gibt bestimmte Personengruppen, die hiervon überproportional stark betroffen sind: Frauen und Migrant*innen, aber auch Auszubildende und Studierende. Die Folgen schlecht bezahlter und unsicherer Beschäftigung sind u. a. Armut, der Ausschluss von sozialer Teilhabe sowie psychische und physische Erkrankungen und daraus folgend erschwerte Bedingungen für kollektive Organisierung und Gegenwehr.
Eine bedeutende Gruppe prekärer Beschäftigter auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind die Arbeitsmigrant*innen, die ihre Heimatländer für einen bestimmten Zeitraum verlassen, um in Deutschland Geld zu verdienen. ›Diese modernen Wanderarbeiter*innen und die medial und öffentlich wenig beachteten prekären Bedingungen, unter denen sie gezwungen sind, in Deutschland zu arbeiten und zu leben, aber auch der Widerstand gegen Lohnraub, Arbeitszeitbetrug, menschenunwürdige Unterbringung und Schikanen stehen im Zentrum dieses Buches.‹ (S. 7) Das Autor*innenduo berichtet aus einer aktivistischen bzw. journalistischen Perspektive. Kathrin Birner ist Gewerkschaftssekretärin bei ver.di und aktiv im Netzwerk der Global Labour University. Stefan Dietl ist ehrenamtlicher Aktivist bei ver.di und Journalist. Er veröffentlicht regelmäßig Zeitungsartikel und zuletzt das – ebenfalls empfehlenswerte – Buch Prekäre Arbeitswelten – Von digitalen Tagelöhnern bis zur Generation Praktikum. Aufgrund der journalistisch-aktivistischen Erzählperspektive können die Leser*innen kein wissenschaftliches Werk im eigentlichen Sinne erwarten. Es gibt weder Fußnoten noch Verweise, das Quellenverzeichnis am Ende ist knapp gehalten. Bei den zahlreichen, durchaus hilfreichen, Statistiken wären Hinweise auf die Herkunft der Angaben durchaus sinnvoll gewesen. Dafür finden sich am Ende zwei aufschlussreiche Interviews mit einer Wanderarbeiterin und einem Gewerkschaftsaktivisten.[…]
Auch wenn das Buch für Kenner*innen der Materie vielleicht viel bereits Bekanntes enthält, so ist es doch ein Standardwerk für alle, die sich mit den Dimensionen prekärer Beschäftigung auseinandersetzen wollen, unabhängig davon, ob dies aus wissenschaftlichen oder aus aktionistischen Motiven heraus geschieht. Das Buch ist aufgrund der drastischen Schilderungen keine leichte Lektüre. Aber gerade zur Bekämpfung von strukturellem Rassismus bedarf es einer offenen Auseinandersetzung mit seinen Ursachen und Folgen, und zwar zuvorderst aus der Perspektive derjenigen, die jeden Tag aufs Neue damit konfrontiert sind. Hierfür liefern Birner und Dietl mit ihrem Buch einen wertvollen Beitrag.« – Pascal Annerfelt, Arbeit – Bewegung – Geschichte 1/2023
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