revista über ›Feminizid‹

UNRAST VERLAG Pressestimmen revista über ›Feminizid‹


»Rita Laura Segato, eine argentinisch-brasilianische Anthropologin und Feministin, geht in ihrem Buch der Frage nach, warum das so ist. Ausgehend von der extrem hohen Anzahl von Femiziden in der nordmexikanischen Stadt Ciudad Juárez beschreibt sie die weltweit zunehmende systematische Gewalt gegen Frauen als ›globalen Krieg gegen Frauen‹. Sie analysiert mit präzisem Verstand, warum es entscheidend ist, die Hintergründe und Strukturen der ›kolonial-Moderne‹ zu verstehen, wenn sie z.b. auf die Zusammenhänge der globalen Kapitalakkumulation, Parastaatlichkeit und der Straflosigkeit bezogen auf die Femizide in Ciudad Juárez eingeht. Es ist ihr elementar zu verstehen, dass jedes Macht- und Unterdrückungsverhältnis ausgeht vom Körper der Frau als erste Kolonie der Geschichte. In dem vorliegenden Buch unternimmt sie den Versuch, das Patriarchat in den unterschiedlichen Feldern der Gesellschaft, die gegenseitig aufeinander Wirken, sichtbar zu machen. Mit der Zuweisung und Etablierung von Rollen im Sinne des ›Einen‹ und des ›Anderen‹ wurden weiblich markierte Personen aus politischen Positionen der ›Pueblos‹ Lateinamerikas ins Häusliche verbannt und minorisiert. Es sei also entscheidend, die Gewalt an Frauen aus dem Häuslichem, dem Intimen herauszuholen, in das sie das Patriarchat gedrängt hat, und im Kontext einer öffentlichen politischen Sphäre zu betrachten – überall auf der Welt. Denn die Reduzierung der Gewalt gegen Frauen auf sexuell begründete Motive, auf Hassverbrechen festzulegen oder als Beziehungstaten zu markieren, verschleiert den strukturellen Charakter der Aggression und macht ihn unsichtbar, so Segato. Der von der Autorin eingeführte Begriff Femigenozid ist dabei nur konsequent, wenn sie sagt, dass zwar alle Verbrechen gegen Frauen aus der Konstellation der Geschlechter herrühren, Frauen aber immer häufiger im öffentlich Raum sterben denn im häuslichen.

Das Buch ist mitunter von grausamer Realität, aber nicht, weil die Sprache der Autorin dies ist oder sie begangene Verbrechen an Frauen in allen Details schildert. Es ist grausam, weil sie die Realität unserer gesellschaftlichen Strukturen benennt und mit präziser Analytik auf den Punkt bringt, in welcher Welt wir leben. Nach dem Lesen ihres Buches scheint es nicht mehr möglich, diese von ihr sogenannte ›Pädagogik der Grausamkeit‹ nicht in ihren verschiedenen Ausformungen zu erkennen. Segato benutzt an einer Stelle das Bild von Puzzleteilen, die es wert seien zusammengesetzt zu werden, um das ganze Bild sehen zu können, womit sie selbst den Grund liefert, warum es sich mehr als lohnt, dieses Buch zu lesen, denn: ›Wenn wir die Formen der misogynen Grausamkeit der Gegenwart verstehen, dann verstehen wir nicht nur, was mit uns Frauen und allen, die sich in der weiblichen Position verorten, geschieht, sondern dann verstehen wir auch, was der ganzen Gesellschaft widerfährt.‹ (S. 122)« – revista, 16.08. 2022

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