»›Im Jahr 2014 entschieden wir uns, in ein Arbeiterviertel West-Londons zu ziehen. Wir hatten das dringende Bedürfnis, aus der kosmopolitischen Blase auszubrechen und unsere Politik im Alltagsleben der Arbeiter*innenklasse zu verankern.‹ Mit diesem Bekenntnis leitet die Gruppe Angry Workers ihr kürzlich im Unrast-Verlag erschienenes Buch Class Power! Über Produktion und Aufstand ein. In Großbritannien sorgte es bereits 2020 für viele Diskussionen in der Linken. Denn die Angry Workers agieren gegen den linken Trend, was schon im Eingangsstatement deutlich wird. Sie verlassen mit den linken Szenebezirken nicht nur eine Komfortzone, sie grenzen sich auch von einer linken Identitätspolitik ab, die immer neue diskriminierte Minderheiten kennen, aber von Klassen nichts mehr hören will. Dabei sind die Angry Workers […] keineswegs Anhänger*innen einer marxistisch-leninistischen Partei, wie es viele der Linken waren, die in den 1970er Jahren aus politischen Gründen in die Fabrik gingen. ›Diejenigen, die Kategorien mögen, können uns als Linkskommunisten einordnen. Das mag wenigen etwas sagen, und es ist nicht wirklich wichtig, dass revolutionäre Politik unserem Verständnis nach auf der Selbstorganisation der Arbeiterklasse beruht‹, beschreiben die Autor*innen den Ausgangspunkt ihres Engagements. Die Gestaltung dieses Ansatzes changiert im Buch zwischen zwei Polen.
Gemeinsam in der Verschiedenheit
Hier gibt es zum einen den ›spontihaften‹ Blick auf den Politikansatz: Job suchen und Stress machen. Damit wird auch ausgedrückt, dass es für die Angry Workers kein großes Problem darstellt, einen Job wieder zu verlieren – womit sie sich unterscheiden vom Großteil ihrer Kolleg*innen, die (oft schlecht bezahlte) Lohnarbeit verrichten. Sie arbeiten nicht aus politischen Gründen, sondern weil ihnen ohne Job schlicht das Geld für die Miete fehlt. Viele Arbeiter*innen müssen außer dem noch Kredite abbezahlen, was es noch schwieriger macht, auf den Lohn zu verzichten, und sei er noch so gering. Mit einer gewissermaßen elaborierteren Stoßrichtung sprechen die Angry Workers zum anderen davon, dass das Konzept der ArbeiterSelbstuntersuchung im Mittelpunkt ihrer Bemühungen steht: ›Als Arbeiter*innen müssen wir gemeinsam den Arbeitsprozess, die Spaltungslinien, die Position des Unternehmens in der Zulieferkette, die rechtliche Situation und den hierarchischen Gewerkschaftsapparat verstehen, um uns effektiv und selbstständig gegen die Bosse zu organisieren‹, schreiben sie. Diesen Anspruch lösen die Angry Workers bei den drei Arbeiteruntersuchungen, die im Buch veröffentlicht sind, gut ein. Sehr detailliert beschreiben sie dort die jeweiligen Fabriken, ihre Rolle in der aktuellen Ökonomie und die Zusammensetzung der Belegschaft. Dabei geht es immer auch darum, Anknüpfungspunkte für Protest und Widerstand zu finden. […]
Gretchenfrage Organisierungsform
Sehr fundiert nehmen die Linkskommunist*innen zudem die weitverbreitete Ideologie des demokratischen Sozialismus auseinander, die in Großbritannien vor allem in der kurzen Zeit, als der Sozialist Jeremy Corbin die Laborpartei führte, große Teile der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken in Großbritannien erfasst hatte. Im Kapitel ›Revolutionäre Strategie‹ formulieren die Angry Workers ein kommunistisches Programm, das sehr an die Texte der Bolschewiki in ihrer Aufstandsphase erinnert. So beschreibt etwa der Abschnitt ›Die Macht der Klasse und ihre ungleiche Entwicklung‹ sehr detailliert, welche Milieus der Mittelschicht in Zeiten des Aufstands gezügelt werden müssen. ›Die Mittelschicht hat politisches Gewicht und kann sich eines repressiven Apparats bedienen. … Die beste Weise, ihren Einfluss zu minimieren, ist, sie von der essenziellen Produktion und Distribution abzukoppeln‹: Etwas abstrakt wird hier beschrieben, dass diese kleinbürgerlichen Schichten in einem revolutionären Prozess gezwungen werden müssen, ›sich gerne als Gleiche produktiv in die Gesellschaft einzubringen‹. Damit sind wir bei Problemen, mit denen sich Wladimir Iljitsch Lenin bereits 1917 auseinandersetzte. Doch es stellt sich sofort die Frage, wer denn die formulierten revolutionären Ziele gegenwärtig umsetzen soll – die zerklüftete Arbeiter*innenbewegung ist dazu jedenfalls aktuell nicht in der Lage. Klar scheint auch, dass es nicht – wie vor 100 Jahren in der Sowjetunion – eine zentralistische Partei sein kann. Hier drängt sich also die Organisationsfrage zwangsläufig wieder in den Vordergrund, die die Angry Workers eigentlich gerne umgehen wollen. Sie stellen dennoch die richtigen Fragen und benennen aktuelle Probleme für eine linke Theorie und Praxis – die Antworten müssen wohl unter anderem von den Leser*innen kommen.« – Peter Nowak, neues deutschland nr. 152 , 3/3 Juli 2022