»Mit Sobibór beschäftigt sich auch Franziska Bruder in ihrem Buch über den dortigen Widerstand. Explizit widmet sie sich nur dem Aufbegehren gegen die Mörder und verfolgt damit eine Perspektive, die bis weit in die 1980er Jahre hauptsächlich in Israel erforscht wurde. Damals stand dahinter oft die Absicht, jüdischen Heldenmut zu zeigen und zu belegen, dass die Opfer nicht nur wie Lämmer zur Schlachtbank gingen. Von derlei politischen Aufladungen ist Bruder weit entfernt – aber es ist dennoch bemerkenswert, wie wenig sich die deutsche Geschichtswissenschaft bis heute der Opferperspektive und insbesondere derjenigen von Aufständischen angenommen hat. Das ist nicht zuletzt deswegen schade, weil die Geschichte der Rebellion gegen die deutschen Mörder am 14. Oktober 1943 die eines bemerkenswerten Erfolgs ist. Trotz dramatisch ungleicher Ausgangsbedingungen konnten die Aufständischen zwölf SS-Männer und zehn Trawnikis töten. Rund 380 Juden flohen aus Sobibór, zugleich starben fast 300 innerhalb der Umzäunung – teils während der Kampfhandlungen, teils danach, weil die SS auch diejenigen aus Rache erschoss, die in anderen Lagerbereichen nicht an der Erhebung teilnehmen konnten. Und selbst wenn am Ende, nach einer gnadenlosen Jagd der Deutschen – oft gemeinsam mit Polen – nur 54 Männer und acht Frauen überlebten, war der Aufstand dennoch ein Erfolg: Ohne ihn hätten die Mörder auch sie noch getötet.
Franziska Bruder schildert das Geschehen, vor allem aber untersucht und dokumentiert sie die Aussagen der Widerstandskämpfer. Schon letzteres wäre für sich genommen lobenswert, aber das Buch leistet mehr. Weil die Zeugen bei verschiedenen Gelegenheiten sprachen – etwa vor Historikern, Gerichten oder Untersuchungskommissionen – können Unterschiede und Betonungen analysiert werden. Das ist zugleich ein Beitrag zur Rechtsgeschichte, denn die zu erwartenden Nuancierungen im Zeitverlauf wurden in deutschen Prozessen durch die Verteidiger der Täter als Widersprüche diffamiert und damit die Glaubwürdigkeit der Überlebenden insgesamt in Frage gestellt – allerdings weitgehend ohne Erfolg. Indem Bruder eine Analyse dieser im Zeitverlauf veränderten Berichte vornimmt, leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Oral History und zum Potential der Aussagen von Überlebenden für die Holocaustforschung. Dass dieses weit über die bloße Rekonstruktion von Fakten oder eine emotionalisierende Illustration des Geschehens herausreicht, wird so einmal mehr unterstrichen.« – Stephan Lehnstaedt, Zeitschrift für Genozidforschung, Jg. 16, 2018