Virginia über ›blues in schwarz weiss & nachtgesang‹

UNRAST VERLAG Pressestimmen Virginia über ›blues in schwarz weiss & nachtgesang‹

»›Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass ich zwar hier lebe, aber eines Tages hier weggehen muss‹, sagt May Ayim 1997 in einem Interview mit der Filmemacherin Maria Binder. Der Dokumentarfilm Hoffnung im Herz. Mündliche Poesie –May Ayim zeigt die Dichterin auf einfühlsame Weise und wortreich – Worte, gesprochen von der Autorin selbst. Zu ihrem 25. Todestag 2021 wurden ihre Werke, die ursprünglich in den 1990er Jahren im damaligen Orlanda Frauenverlag erschienen, neu aufgelegt und ehren eine der wichtigsten Schwarzen Stimmen als Lyrikerin in Deutschland und eine afrodeutsche Aktivistin, die mit ihrer Arbeit ein Treibholz schuf, auf das man sich, nicht nur als Afrodeutsche/r retten kann, wenn man zu ertrinken droht. May Ayim wurde 1960 in Hamburg geboren und gleich von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben. Ihr Vater, ein ghanaischer Medizinstudent, durfte sie nicht mit in seine Heimat nehmen, so wuchs sie zunächst anderthalb Jahre in einem Kinderheim auf. Von dort aus wurde sie schließlich von der erzkonservativen Familie Opitz aus Münster adoptiert. Dort fiel sie auf, war sichtbar anders, sichtbar nicht von hier, eine, die alle anderen nur aus dem Kinderlied ›Zehn kleine N*lein‹ kannten. Und ihre Eltern? Glaubten, mit strenger Erziehung, tadellosem Verhalten und Mustergültigkeit ihre Tochter vor Rassismus zu schützen. Ein Fehlglaube, wie Ayims beeindruckende Essays zweifellos zeigen. Als Erwachsene brach sie den Kontakt zu dieser Familie ab und intensivierte den zu der ihres Vaters, besuchte sie häufig in Ghana. Ihr Versuch, seinen Nachnamen offiziell anzunehmen, scheiterte, aber er wurde ihr Künstlerinnenname.

Im Münsteraner Unrast Verlag ist anlässlich ihres Todestages der Gedenkband May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin erschienen, in dem Verwandte, FreundInnen, KollegInnen und MitstreiterInnen von ihren persönlichen Begegnungen mit ihr berichten und auf sehr lebendige Weise ein vielfältiges Bild von ihr zeichnen. Hierin erfahren wir von den Anfängen der Schwarzen Frauenbewegung in Deutschland, ausgelöst durch Besuche der Schwarzen Dichterin Audre Lorde, und der Rolle, die May Ayim darin gespielt hat, von dem ersten Buch in Deutschland über Schwarze Frauen Farbe bekennen, an dem sie mitgearbeitet hat, von ihren lyrischen Arbeiten und vor allem auch von ihrem unermüdlichen Aktivismus, der bis heute Vorbild für andere ist – nicht nur in Deutschland, sondern international. Wichtig war sie nicht nur in der Anfangszeit der Schwarzen Bewegung in Deutschland (vor allem der Schwarzen Frauenbewegung), sondern ist es für viele bis heute geblieben. Im Essayband Grenzenlos und unverschämt sind May Ayims wichtigste Reden, Aufsätze und Interviews versammelt und machen ihren politischen Kampf deutlich. ›Die Verharmlosung von Rassismus, gepaart mit Respektlosigkeit und Dagmar Schultz selbst ein Leben zutrauen zu können, das andere nicht sehen. Sie kämpfte mit ihrer Rolle als Frau, damit, nicht nur einen ›Frauenberuf, den sie notfalls auch in Afrika ausüben könnte‹, zu lernen, sondern sich selbst ein Studium zuzutrauen. Sie kämpfte mit Menschen, die keinen Rassismus sehen können, sie kämpfte mit Relativierungen, mit Grenzüberschreitungen, damit, dass andere besser zu wissen glauben, was sie zu denken habe, sie kämpfte mit sich selbst. Aber ihre Dichtung ist wortgewaltig, humorvoll, direkt und eingängig. Sie ist politisch, aber nicht nur.

Sie ist auch voller Liebe und Gefühl, voller Trauer und Sehnsucht danach, irgendwo zu sein. Ihre Essays sind bis heute wegweisend für afrodeutsche KünstlerInnen, für das Schwarzsein unter Weißen, für die Frage, warum das von Relevanz ist, was das für ein Kampf ist und dass es einer ist. Im August 1997 ist May Ayim nirgendwohin zurückgegangen, bevor sie sich selbst das Leben nahm. Es hatte nichts gegeben, wohin sie hätte zurückgehen können, denn so wirklich war sie nirgendwo da. Nachdem sie die Diagnose Multiple Sklerose bekommen hatte und nach einigen Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken Psychopharmaka nehmen musste, hatte sie wohl vor allem Angst, endgültig den Bezug zu sich und vor allem zu den Worten, zu ihrer Sprache, zu verlieren. Also ging sie lieber, obwohl sie im letzten Jahr doch ihren 61. Geburtstag mit uns hätte feiern sollen. Sie hinterlässt zwei Gedichtbände sowie die Essaysammlung und viel Mut, ihre Stärke und ihre Visionen.« – Sophie Sumburane, Virginia Nr. 70, Februar 2022

 

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