Rezensionen zu „Krise und Antisemitismus“

UNRAST VERLAG Pressestimmen Rezensionen zu „Krise und Antisemitismus“

Gerhard Hanloser – Krise und Antisemitismus

Regulation und Antisemitismus

von Detlef Hartmann

Es ist wohltuend, in Zeiten inflationärer Nutzung des Begriffs „Antisemitismus“ in der Linken zur gedanklichen Disziplin zurückgerufen zu werden. Gerhard Hanloser hat kürzlich ein Buch vorgelegt, das genau das tut.: „Krise und Antisemitismus“, erschienen 2003 im Unrast Verlag. Der Untertitel verspricht „Eine Geschichte in drei Stationen von der Gründerzeit über die Weltwirtschaftskrise bis heute“ auf 135 Seiten. Das ist nicht viel Platz, aber hier liegt die Stärke des Buchs. Hanloser gelingt es, wesentliche Momente der politischen Ökonomie des Kapitals und ihrer Kritik mit Erscheinungen von Krise und Antisemitismus zu korrelieren, historisch und konzeptionell. Marx und die marxistische Theoriebildung bilden Ausgangspunkt und Referenzrahmen. Aber keine Angst! Das Buch ist auch hier gut lesbar. Hanloser erweist der Formelhaftigkeit marxistischer Dogmatik wenig Reverenz und übersetzt ihre Inhalte in zuweilen sehr gelungene eigene, kritische Formulierungen.
In einem ersten Kapitel über „Das Geld und d(en) Antisemitismus“ zeichnet er nach einem kurzen Abriss der christlich-antisemitischen Antwort auf das „Geldrätsel“ den Weg nach, den Marx von seiner Frühschrift „Zur Judenfrage“ zur umfassenden Kritik der politischen Okonomie zurückgelegt hat. Geld ist nicht die satanische Macht, die die Gemeinschaft der produktiven Kräfte auseinanderreisst und ihr Zusammenwirken krisenhaft verseucht, wie Proudhon es als spekulativer Urheber der Krise 1857 geisselt. Unter dem Fetischcharakter von Geld und Kredit legt Marx das grundlegende gesellschaftliche Verhältnis kapitalistischer Ausbeutung offen. Geldkritik und antisemitischer Exorzismus Proudhons werden in ihrer strategischen Blindheit für das soziale Verhältnis kapitalistischer Ausbeutung entlarvt: als frühe Manifestation der Unterscheidung zwischen „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital.
Bis hierhin fasst Hanloser kurz und präzise zusammen, was uns schon aus vielen ideologiekritischen Arbeiten geläufig ist. Was sein Buch heraushebt, ist etwas anderes. Er verweist auf die Grenzen orthodoxer Krisen- und Zusammenbruchstheorien, die durch die historische Fähigkeit des Kapitalismus zur Reorganisation seiner Ausbeutungsverhältnisse immer wieder eines besseren belehrt wurden. Aus der sogenannten „Regulationsschule“ bezieht er die aus der Geschichte des Fordismus gewonnene Erkenntnis, dass sich das Kapital aus der Krise in neue Regulationsweisen und -modelle zu retten und sanieren vermag. Und so erweitert er sein Forschungsprojekt auf die Rolle und Bedeutung des Antisemitismus für die historischen Übergänge zu neuen Regulationsmodellen aus den ihnen vorausgehenden Verwertungskrisen: der Gründerkrise 1873, der Weltwirtschaftskrise von 1929 und der heutigen.
Nach einer prägnanten Schilderung des Gründerkrachs von 1873 und der antisemitischen Verarbeitung der Spakulationswut und der Projektion seiner allgemeinen Gier auf die Juden als Sündenbock wendet sich Hanloser seinem eigentlichen Thema zu: Antisemitismus als Bestandteil des Bismarckschen „Regulationsmodells“. Im Antisemitismus stabilisieren die Völkischen erzieherisch das „Wir“ neu und leisten damit ihren Beitrag zur antiliberalistischen Konzentration der Regulationskompetenzen im Staat, zugleich als imperialistische Machtbasis nach aussen. Ausgerechnet an Stoecker, Vorzeige-Protagonist finsterster antisemitischer Reaktion, weist Hanloser den Dienst an der industriellen Modernisierung des Kaiserreichs gegen den handwerksorientierten Romantizismus nach.
In diesem Sinne analysiert Hanloser auch die Rolle des Antisemitismus im NS als „..passende Antwort auf die Krise von 1929, die nur doppelzüngig ausfallen konnte, weil er ein die bestehende Ordnung aurechterhaltendes Regime etablieren wollte, das gegen die marxistische, aufhebende Kritik der kapitalistischen Gesellschaft gerichtet war, jedoch aufgrund der fundamentalen Krise der kapitalistischen Gesellschaft kein „weiterso“ des Liberalismus predigen konnte. Deshalb war der NS rational und irrational, modernistisch und romantizistisch zugleich…“ im Versuch zu einem „radikal neuen Regulationsmodell“ (S.63).
Hanloser zeichnet die Muster nach, in denen die reaktionäre Geldkritik und Antisemitismus das alte Schema vom „raffenden“ und „schaffenden“ Kapital reproduzieren. Aber auch in dieser Epoche zeigt sich, dass die linke Erwartung der Todeskrise des Kapitalismus verfrüht ist. Der NS bekämpft die „Zinsknechtschaft“ und die Banken halbherzig, bei aller verbaler Aggressivität reorganisiert er die Zirkulationssphäre nur und entwirft in der vorgezogenen Kriegsökonomie die deutsche Variante des Keynesianismus. „Der Antisemitismus war die Klammer all dieser Reformversprechungen. Das Ineinssetzen von „jüdischem Geist“ und liberalem Wirtschaftssystem bot den Ausgangspunkt für die unmittelbare Übersetzung der Kritik am Liberalismus in den Antisemitismus.“ Hanloser sieht in den polymorphen Strukturen und Ambivalenzen ein spezifisches barbarisches Regulationsmodell zur Realisierung einer Vielzahl von Modernisierungs- und Reformstrategien. Aus dieser Perspektive beleuchtet er die Unzulänglichkeiten ideologiekritischer Analyse von der kritischen Theorie bis Postone.
In einem letzten Kapitel sucht Hanloser, die aus der Geschichte gewonnenen Erkenntnisse für die Bewertung der aktuellen politisch-ökonomischen Entwicklungen fruchtbar zu machen. Die unter dem Etikett „Kasinokapitalismus“ beschriebenen und in den spekulativen Wellen der New Economy zutagegetretenen Auswüchse und Euphorien scheinen ihm den Zeiten vor 1929 und 1873 zu ähneln. Auch die Vorboten der Heilsversprechen im Kampf gegen den raffenden Charakter des spekulativen Geldkapitals haben nicht auf auf sich warten lassen die Zurückhaltung vom antisemitischen Bekenntnis vermag in Deutschland das Misstrauen nicht zu beseitigen. Sollte Zygmunt Bauman gegen den nach wie vor virulenten und unterschwelligen Antisemitismus wirklich damit recht haben, dass der Antisemitismus ein Phänomen war, das zur Moderne gehörte und nun abgenutzt sei? Hanloser lässt die Frage offen – auch in der Hoffnung auf Überwindung verkürzter Geldkritik. „Nur durch eine wirkliche Kritik, die an die Wurzeln des Systems geht, kann der falsche Radikalismus des Antisemitismus verhindert werden.“
Hanlosers Buch erhebt nicht den Anspruch auf fertige Wahrheiten und sichere Ergebnisse. Es ist vielmehr ein Diskussionsangebot. Es geht von marxistisch fundierter Ideologiekritik eines falschen Bewusstseins aus, das sich auf die Kritik an der Zirkulationsspäre verkürzt. Dann aber öffnet es die Perspektive in Dimensionen, die für die Kategorien der Bewusstseinskritik ausser Rechweite liegen: die Funktionalität des Antisemitismus als „irrationalem“ Moment für die Neuregulation kapitalistischer Ausbeutung als Ausweg aus der Verwertungskrise. Dieses Thema liegt seit langem in der Luft und da wird es weitgehend in der Schwebe gehalten. Aus gutem Grund. Die Frage der Beteiligung von irrationalen, ja barbarischen Momenten an der gesellschaftlichen Dynamik des Fortschritts produktiver Rationalität rührt an tragende Grundverständnisse der politischen Ökonomie wie ihrer Kritik gleichermaßen. Immerhin. Haben nicht Bauman und andere die Konzentrationslager als Ausdruck moderner Rationalität begriffen? Hat nicht Foucault das Massentöten als Begleiterscheinung biopolitischer Verfügung und Wohlfahrt dargestellt? Haben nicht Gillingham u.a. den NS als Etappe im Formationsnprozess der Bonner Leistungsgesellschaft beschrieben? Und hat nicht Mancur Olson Regime wie den NS als Phase der ökonomischen Mobilisierung überholter sozialer Garantien gepriesen?
Hanlosers Buch ist an die Linke gerichtet und er stösst die Tür zu diesen Fragen von der Basis marxistischer Kritik her auf. Dass er sie nicht endgültig beantworten kann und will, liegt auf der Hand. Zuviele methodische und methodologische Prämissen bedürfen der Klärung. Die Regulationstheorie, die Hanloser – durchaus nicht unkritisch – zum Ausgangspunkt nimmt, operiert weitgehend auf dem Feld der „Gebrauchswertseite“. Aber sie vermeidet die Fragen der revolutionären Kritik des kapitalistischen Gebrauchswerts und es ist kein Wunder, dass sie Fragen der Gewalt, namentlich des Antisemitismus im Prozess ihrer Formierung ausblendet. Die Regulationstheorie analysiert statisch und strukturalistisch aus der Perspektive entwickelter Regulation. Aber Regulation fällt nicht auf einen Schlag ins Lot, sie wird in einem Prozess teils blutiger Anpassung umgesetzt. Welches sind die irrationalen Energien der Umsetzung? Es wird deutlich, dass die Momente dieses historischen Prozesses der Erneuerung des kapitalistischen Kommandos weder in Struktur- noch Bewusstseinskategorien zu begreifen und vor allem nicht ohne Berücksichtigung ihres antagonistischen Charakters. Dass das Buch an dieser Stelle zu wünschen übrig lässt, ist evident – Hanloser sieht es selbst. Begreifen wir es also als gelungene und anregende Aufforderung zur Debatte, einer Debatte über Fragen der revolutionären Auseinandersetzung mit dem widersprüchlichen rationalen und irrationalen Strategien einer neuen postmodernen Regulation.

(einen gekürzte Fassung dieser Rezension erschien in: iz3w 275, März 2004)

Krise und Barbarei. Antisemitismus zwischen Gründerzeit und Kasinokapitalismus. Buchvorstellung

Js., ak

In vulgärmarxistischen Erklärungsversuchen sind Ursache und wirkung, Täter und „Verführte“ kjlar definiert: Antisemitismus ist ein Instrument der Herrschenden zur Irreführung potenziell revolutionärer Massen. Gegen solchen „unzulässigen Ökonomismus“ Gerhard Hanloser in seinem neuen Buch eine Untersuchung des Zusammenhangs von ökonomischen Krisen und massenhaft auftretendem Antisemitismus.
Dabei geht er vor allem ideologiekritisch vor, nennt aber auch sozialgeschichtliche Basisdaten, um die jahrhundertealte Identifizierung des Geldes mit der person beziehungsweise der Tätigkeit der Juden“ zu erklären. Im christlichen Mittelalter mit dem „Wucherprivileg“ ausgestattet, blieb den Juden der Erwerb von Boden und Produktionsmitteln weitgehend verboten. Sie waren in die Zirkulationssphäre, handel und bandwirtschaft, „eingesperrt“ (Adorno).
Noch der junge Marx beneutzt „Judentum“ als Synonym für geld. Mit seiner Entdeckung des Mehrwerts lüftet er dann das „Geldrätsel“; in Auseinandersetzung mit Proudhon widerlegt er den Scheingegensatz von schaffendem Industrie- und „raffendem“ Finanzkapital. In der „Religion des Alltagslebens“ aber bleibt das Geld die Wurzel allen Übels und Ursache wirtschaftlichen Zusammenbruchs.
Das zeigt beispielsweise die „Gründerkrise“, die 1873 im Deutschen Reich die große Depression einbleitete. Auf die öffentlich angeheizte Spekulationswut, die auch die „kleinen Leute“ erfasste, folgte der Zusammenbruch der Börse. Nicht der Kapitalismus, sondern einzelne „Spekulanten“ wurden für die eigenen Verluste verantwortlich gemacht, etwa der „Eisenbahnkönoig“ Bethel Henry Strousberg. Dessen jüdische Herkunft belegte aus Sicht der AntisemitInnen die große Verschwörung, für die sie alle Jüdinnen und Juden kollektiv verantwortlich machten.
Der Gründerkrach gab der antisemitischen Agitation ungeheuren Auftrieb. Schon 1976 war „die Identifikation von Juden mit Bankleuten, Spekulanten und Gründern ein Allgemeinplatz geworden“ (Jacob Katz). Nicht nur von den Antisemitenparteien, auch von der kaiserlichen regierung wurde die Gegenüberstellung „gute industrielle Arbeit versus parasitäres Finanzkapital““ übernommen. Sie erwies sich, schreibt hanloser, als „stabilisierende Ordnungsideologie“, die zugleich den Nazis den Boden bereitete – in deren Ideologie schließlich der Fetisch des „schaffenden Kapitals“ das Konstrukt der „guten deutschen Arbeit“ mit ein.
Den Nationalsozialismus interpretiert Hanloser als „passende Antwort auf die Krise von 1929“. Entgegen ihrem Programm schafften die Nazis die „Zinsknechtschaft“ nicht ab. Sie verzichteten auch auf die Verstaatlichung der banken, die sie für die Finanzierung ihrer Raubkriege brauchten. In Übereinstimmung mit Charles Bettelheim sieht hanloser das Finanzkapital mit beginn des Zweiten weltkrieges deutlich gestärlt; gleichzeitig widerspricht er Dimitroffs „reduktionistischer“ Definition des Faschismus als „Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“.
Während Hanloser kritische Theorien des Antisemitismus, namentlich die von Max Horkeimer und Moishe Postone, arg kurz abhandelt, kommt er am Schluss ausführlich auf seine Anfangsfrage zurück: „Drohen erneut antisemitische ‘Verarbeitungsmechanismen’ in einer potenziellen Krise?“ Zwar verzeichnet er für die kurze Blütezeit der New Economy eine der Gründerzeit ähnliche „Goldgräberstimmung“. Auch zitiert er sozialkonservative bis rechtsradikale Kritiken an der „Raffgesellschaft“ des „Kasinokapitalismus“, die antisemitische Stereotypen aufgreifen. Dagegen sieht er den Sozialtypus des „egoistischen, Geld scheffelnden Bürgers“ als neues Idealbild, das mit gigantischem Aufwand propagiert wird.
Vor allem aber sei eine „untergründige Traditionslinie, die zur antisemitischen Krisenverarbeitung geführt hat, am Verschwinden: „Neo-Autarkismus, Staatsfixiertheit und Nationalismus haben keine reale Basis mehr – die der konformistisch rebellierende braucht.“ zustimmend zitiert der Autor Zygmunt baumann, der „die Erfolgsaussichten antisemitischer Staatspolitik in weite Ferne gerückt“ sieht, während ein „volkstümlicher do-it-yourself-Antisemitsimus“ erhalten bleibt.
Ob hanloser letzteres auch Teilen der globalisierungskritischen Bewegung vorwirft, wird nicht ganz deutlich. Dass er dieser Bewegung Argumente liefern will, steht schon in der Einleitung – ein Anspruch, den er auf beeindruckende Weise einlöst. Das Buch endet mit einer Abgrenzung von „alarmistischer Antisemitsimusbeschäftigung“ und einem Appell zu umfassender Kapitalismuskritik, die nicht auf die Zirkulationssphäre beschränkt bleibt.

(aus: analyse und kritik 481, 20.Februar 2004)

buch & deckel – konkret

Christoph Teuber

Krise ist, wenn’s kracht. Und Antisemitsimus ist, wenn niemand verstehen will, was da kracht und warum, wenn also kein Interesse an Marx und einer sozialrevolutionären Perspektive vorhanden ist. So läßt sich Gerhard hanlosers Buch zusammenfassen.
Unverstanden bleibt in der Krise, Marx wie Hanloser zufolge, der zusammenbruch von geld und Ware bzw. Kapital und Kredit. „Eine reaktionäre Geldkritik setzt die Geldwirtschaft mit ‘dem Juden’ gleich. Auf das geldrätsel wird so antisemitisch geantwortet.“ Daher geht das Buch sowohl logisch als auch historisch dem „Unverständlichen des Geldes nach“, wobei die historischen Stationen die Gründerzeit, die Weltwirtschaftskrise 1929ff., der Nationalsozialismus und der heutige Zustand sind.
Insbesondere das Kapitel über die Gründerzeit bietet eine brauchbare Erläuterung der dritten These der „Elemente des Antisemitismus“ in Adorno/Horkheimers Dialektik der Aufklärung. „Der bürgerliche Antisemitismus hat einen spezifischen ökonomischen Grund: die Verklkeidung der Herrschaft in Produktion … Die Verantwortlichkeit der Zirkulationssphäre für die Ausbeutung ist gesellschaftlich notwendiger Schein.“
Deutlich wird aber auch, daß die Bestimmung des Antisemitsimus aus dem zusammenhang der Krise nicht hinreicht. Hanloser scheint weder den Begriff des sekundären Antisemitismus zu kennen, noch behandelt er das Verhältnis von Antisemitismus und Antizionismus. Das Problem ist, daß er gleichwohl die Frage beantworten möchte, ob „erneut antisemitische ‘Verarbeitungsmechanismen’ in einer potenziellen Krise virulent werden können. Eine merkwürdig defensive Frage zu einem Zeitpunkt, zu dem 65 Prozent der Deutschen Israel für die größte Bedrohung des weltfriedens halten. Hanlosers Antwort: Es sieht nicht so aus, aber wir sollten auf der Hut sein.
Weil nicht deutlich wird, warum die dritte These der „Elentende des Antisemitsimus“ sich in einem Text findet, der den Untertitel „Grenzen der Aufklärung“ trägt, mißlingt auch ihre Explikation. Es finden sich bei Horkheimer/Adorno eben auch Hinweise darauf, daß rationale Argumentation gegen den Antisemitismus nichts vermag, weil „die mit Herrschaft verknüpfte Rationalität … selbst auf dem Grunde des Leidens“ liegt. Eine Auseinandersetzung mit dem ‘unzulänglichen’ Charakjter des Antisemitismus aber würde Hanlosers Darstellung nicht ergänzen, sondern liefe ihrer politischen Absicht zuwider. Dieser Absicht liegt die hilflose Hoffnung zugrunde, die „Anti-Globalisierungsbewegung“, die sich „noch lange nicht auf dem Niveau einer fundierten Kapitalismuskritik“ befinde, sei zu einem Erkenntnisfortschritt in der Lage, den Marx von seiner Schrift „Zur Judenfrage“ bis zum Kapital gemacht hat.

(aus: konkret Heft 3, März 2004)

‘Auslese’

von Simon Brüggemann

Inwieweit wird in den immer wieder kehrenden Krisen des Kapitalismus der Antisemitismus ganz besonders wirksam? Wie drückt er sich in den Regulationsmodellen aus, die als Antwort auf die Krise entstehen? Gerhard Hanloser geht diesen Fragen in seinem Buch mit dem Untertitel „Eine Geschichte in drei Stationen von der Gründerzeit über die Weltwirtschaftskrise bis heute“ nach und das, trotz der Kürze und straffen Gestaltung des Werkes, in einer erstaunlichen Tiefe und Vielschichtigkeit. Dabei stürzt er sich aber nicht sofort auf die historischen Fallbeispiele, sondern widmet sich zuerst eingehend der marxistischen Krisentheorie und der Theorie des Antisemitismus. Hanloser revidiert dabei notwendigerweise den Krisenoptimismus Marx´ – der die „Option Auschwitz“ als Krisenlösung nicht voraussehen konnte und somit die Krise positiv, dass heißt mit der Option Revolution besetzte – und geht auf das Wesen des Geldes ein. Hier beweist der Autor dann auch das erste, aber nicht letzte mal, dass er komplizierte Zusammenhänge klar und deutlich darstellen kann, ohne dabei simplifizieren zu müssen. Solche Fähigkeiten war man bisher nur von Michael Heinrich gewöhnt. Um dem Leser ohne großes Vorwissen an das „Geldrätsel“ heranführen zu können, bedient sich Hanloser einer guten Vorgehensweise, indem er die Entwicklung von Marx selber nachzieht. Dieser kam auch erst von einer oberflächlichen Kritik am Kapitalismus, die sich allein auf das Geld an sich und die Zirkulationssphäre bezog, zu der umfassenden Kritik der politischen Ökonomie.
Ebenfalls sehr kompetent sind dann die Betrachtungen der Gründer- und der Weltwirtschaftskrise und wie in ihnen der Antisemitismus wirkt. Während beim ersten Fall auch ein deutlicher Fokus auf die allgemeinen historischen Entwicklungen und die Stimmungslage innerhalb der Gesellschaft gelegt wird, konzentriert sich das Kapitel zur Weltwirtschaftskrise deutlicher auf wirtschaftspolitische Aspekte. Die Antwort des Nationalsozialismus auf die Krise von 1929, der Vernichtungsantisemitismus, so als reines Regulationsmodell zu betrachten ist bei der Fragestellung nicht nur berechtigt, sondern bringt auch interessante Aspekte zu Tage, die sonst nicht so klar hervorgehoben würden. Im letzten Kapitel versucht der Freiburger Sozialwissenschaftler dann der Frage nachzugehen, ob im heutigen „Kasinokapitalismus“ mit seiner Krisenanfälligkeit ebenfalls wieder antisemitische Lösungsmöglichkeiten entstehen könnten. Dabei spricht er auch von einer erneuten Goldgräberstimmung und zieht damit, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, Parallelen zur Gründerkrise von 1873, die er zuvor selber analysiert hat. Mit einem staatlichen Regulationsmodell a la Bismarck, das auf den antisemitischen Stimmungen in der Bevölkerung fußt, ist aber kaum zu rechnen und der Antisemitismus hat sich heute so gewandelt, dass er sich eher am Staat Israel austobt. Dies bleibt vom Autor zwar nicht unberücksichtigt, führt aber nicht zu den notwendigen Schlussfolgerungen, sondern bleibt im rein spekulativen Bereich. Stellt dies auch die einzige Schwachstelle des Buches dar, so bieten sich aber auch hier noch zahlreiche interessante Denkanstöße. „Krise und Antisemitismus“ schließt hervorragend die Lücke in den bisherigen Untersuchungen zu der Thematik und gibt den historischen Hintergründen und psychologischen Aspekten genügend Raum, um eine aktualisierte marxistische Betrachtungsweise zu schaffen.

(aus: OX Fanzine Punkrock-Hardcore-Rock&Roll #55 11/2004 (Juli-August)

zu den Büchern des Autors

Gerhard Hanloser – Krise und Antisemitismus

Gerhard Hanloser (Hg.)
„Sie warn die Antideutschesten … der deutschen Linken“
Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik