»Mein Bauch gehört – mir?
Mit den Erfindern von Kampfbegriffen wie ›Babycaust‹ und ›Massen-mord‹ setzen sich Eike Sanders, Ulli Jentzsch und Felix Hansen in dem Buch »Deutschland treibt sich ab!« auseinander. Darin nehmen sie Organisationen der Abtreibungsgegner ins Visier, die auch in Deutschland, beispielsweise mit den ›Märschen für das Leben‹, zunehmend an die Öffentlichkeit drängen. Dass diese Bewegung zahlenmäßig relativ klein ist, lässt viele die Brisanz der Mischung aus christlichem Fundamentalismus und neurechtem Antifeminismus unterschätzen. Dabei ist die von diesen Gruppen ausgehende Gefahr ernstzunehmen. Schließlich machen sie sich Ressentiments breiter konservativer und christlicher Kreise zu eigen, um antidemokratische und rassistische Inhalte gesellschaftsfähig zu machen.
So sehen die Autoren denn auch nicht die auf den Märschen der ›Lebensschützer‹ mitlaufenden Neonazis als größtes Gefährdungspotential an, sondern die Tatsache, dass auch konservative und evangelikale Christen und eine nicht unerhebliche Zahl von CDU- und CDU-Politikern und -Anhängern mitmischen. Letztere haben sich in der Arbeitsgemeinschaft ›Christdemokraten für das Leben‹ (CDL) zusammengeschlossen.Außerdem steckt hinter der organisierten Bekämpfung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch, so die Analyse des Autorenteams, ideologisch weit mehr als zunächst erkennbar. Es handle sich zwar auf den ersten Blick um eine klassische Ein-Punkt-Bewegung. Die Beschäftigung mit dem Ungeborenen sei jedoch eher Mittel zum Zweck, denn deren Protagonisten lehnten die bestehenden bürgerlich-demokratischen Verhältnisse als Ganzes ab und setzten ihnen einen ›prochristlichen, antisäkularen, antimodernen Gesellschaftsentwurf‹ entgegen.
Dieser Befund wird mit zahlreichen Fakten und Beispielen belegt, was der geringe Umfang des Buches nicht unbedingt hätte erwarten lassen. Dabei bedienen sich die Autorinnen und Autoren wissenschaftlicher Methoden: Zunächst setzen sie sich mit Begrifflichkeiten und Argumenten auseinander, wie sie bei den ›Lebensschützern‹ zum Beispiel zur ›Pille danach‹ oder dem sogenannten Post Abortion Syndrom zu finden sind. Danach gehen sie detailliert auf deren kulturkritischen Ansatz ein, eine ›natürlichen Geschlechterordnung‹ zu postulieren.In einem geschichtlichen Abriss wird gezeigt, wo die Wurzeln der Bewegung in Deutschland liegen. Ergänzt wird dieser von einer Übersicht, welche Organisationen hierzulande aktiv sind. Abgerundet wird die Analyse von einer Darstellung der Aktionsformen, die von Gemeindearbeit, den ›Märschen‹ bis hin zu Übergriffen wie ›Gehsteigberatung‹ und gewalttätigen Anschlägen bis hin zu Morden von seiten der Pro-Life-Organisationen in den USA reichen.«
Mona Grosche, junge Welt, 20.02.15