Rezension: Dirk Kretschmer – diskus 2/ 02

UNRAST VERLAG Pressestimmen Rezension: Dirk Kretschmer – diskus 2/ 02

Wolf Wetzel: Krieg ist Frieden. Über Bagdad, Srebrenica, Genua, Kabul nach …,

Rezension: Dirk Kretschmer – diskus 2/ 02

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Zweifeln für einen Post-Antiimperialismus

Mit seinem Erstlingswerk »Krieg ist Frieden« knüpft Wolf Wetzel politisch wie publizistisch an sein vormaliges Autorenkollektiv, die autonome L. U. P. U. S.-Gruppe, an. Zum einen greift er vakante Zeitfragen des deutschen Linksradikalismus auf und versucht gewissen ›Fehlentwicklungen‹ mit einer alternativen politischen Analyse und Positionierung zu begegnen. Mit ihren Texten zum zweiten Golfkrieg, dem ›Asylkompromiss‹ und den Pogromen und Lichterketten etablierte sich Lupus als eine wichtige Stimme in der Nie wieder Deutschland-Linken der 90er. Zum anderen bedient sich Wetzel der ereignisorientierten Publikationsweise von Lupus, die in einer zeitnahen Analyse ihres Gegenstands bestand. Im Unterschied zu den Lupus-Textsammlungen kompiliert »Krieg ist Frieden« jedoch Texte aus über zehn Jahren. Damit lässt Wetzel die Chance verstreichen, die eigene Geschichte eingehend zu reflektieren, um politische Sackgassen erkennen und verlassen zu können. Was sich besonders in den aktuellen Texten zu den Entwicklungen seit dem Elften Neunten bemerkbar macht.

Eine solche »Zeitreise« (Verlags-Info) hat aber auch ihre Reize. Sie bietet der Nie wieder Deutschland-Linken die Gelegenheit, die ausstehende Relektüre ihrer eigenen Geschichte (vgl. z. B. Kretschmer, Lupus in: diskus 1 / 99) in Angriff zu nehmen, um dabei nach den Leerstellen und Brüchen in den eigenen Konzeptionen zu fragen. Als symptomaler Ausgangspunkt kann das Auseinanderfallen der antifaschistischen Maxime Nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg, mit dem eine Spaltung auch der antinationalen Linken einhergeht, herangezogen werden. Hinzu kommt die Desartikulation des Antiimperialismus als sozialrevolutionäre Ideologie mit dem Zusammenbrechen der Sowjetunion. Fasten your seatbelts, die Reise beginnt.

Golf- und Kosovo-Krieg: Verloren im (anti-)nationalen Blick

Der erste Zeitsprung führt uns zum 2. August 1990. Die so genannte Golfkrise tritt in ihre heiße Phase. Auch in Frankfurt der Startschuss für eine kurze Renaissance der Friedensbewegung. Das Aktionsbündnis gegen den Golfkrieg, getragen von Studentinnen- und Schülervertretungen, fordert die Mitdemonstrierenden zum Protest wider die »grüne Doppelmoralµ auf und tritt in Aktion. Neben solchen in die große Politik eingebundenen Reality-Erzählungen wendet sich Wetzel vor allem der Ideologiekritik der »Maskenbildner des Krieges«, der linken Kriegsbefürworter zu; speziell Hans-Magnus Enzensbergers »Hitlers Widergänger« als Blaupause der deutschen Normalisierer von links. Operationsziel: Die antifaschistische Maxime Nachkriegsdeutschlands Nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg knacken, um »Auschwitz kriegstauglich zu machen« und damit Deutschland bald das militärische Mitmachen in der neuen imperialistischen Weltordnung zu ermöglichen.

Wetzels historisch-kritischer Abrechnung mit Enzensberger kann sicherlich nur wenig hinzugefügt werden. In den Erzählungen, Analysen und Statements zum Golfkrieg macht sich jedoch die Abwesenheit einer kritischen Selbstverortung in dieser innerlinken Auseinandersetzung und deren diskursiven Effekte als kaum zu übersehender

Mangel bemerkbar. So, als bewahre die ideologiekritische Versicherung mit den eignen antifaschistischen wie kritisch-antiimperialistischen Sicherheiten vor der politischen Einsicht, dass die erste Runde im Kampf um die »Weltinnenpolitik« des Neuen Deutschland an die anderen gegangen ist. Die deutsche Linke hatte sich im Golfkrieg de facto in eine diskursive Nie wieder Auschwitz-Partei einerseits und eine Nie wieder Krieg-Partei andererseits gespalten.

Bedeutsam hierfür war sicherlich der von Wetzel angeführte Vorteil, den linke Bellizisten durch die asymmetrische Medienkriegsführung realisieren konnten: Die durch filmende Bomben zum Verschwinden gebrachten irakischen Kriegsopfer standen den sichtbaren israelischen Opfern der irakischen Scud-Raketen gegenüber. Damit ist zwar ein offensichtliches Problem angesprochen aber keineswegs gelöst. Die ideologische Selbstblockade versperrte eine Reflexion und Veränderung der Antikriegsposition, was sich acht Jahre später zum letzten Mal und mit aller Deutlichkeit rächen sollte.

Dass der Kosovo-Krieg zum letzten Gefecht zwischen Normalisierern und Kriegsgegnern inner- und außerhalb der Linken würde, war auch in Wetzels Posse klar. »Ein historischer Augenblick, den wir angesichts der Abwesenheit einer relevanten Radikalopposition nutzen müssen« heißt die trotzige Parole, mit der Lupus zum Sonderparteitag der Grünen am 13. Mai 1999 mobilisiert. Dennoch kommen in Wetzels Texten zum Kosovo-Krieg erstmals Zweifel auf. Zweifel, die zwar auf halben Weg wieder abgewürgt werden, in einer Betrachtung ex post aber zu den richtigen Fragen führen können. So erklärt Wetzel die Lähmung in der Linken u. a. damit, dass die Bürger- und Sezessionskriege in Jugoslawien jahrelang »im toten Winkel linker Internationalismus-Politik« gestanden habe. Dieser Ansatz einer Selbstkritik wird jedoch mit dem Hinweis kompensiert, dass die »innerdeutschen Verhältnisse« seit der deutsch-deutschen Vereinigung das entscheidende Motiv lieferten, gegen den NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu sein. Zugespitzter kann man wohl die apolitischen Effekte eines ritualisierten Antinationalismus nicht vorführen. Dass eine Kriegsgegnerschaft, die explizit von den Verhältnissen in Ex-Jugoslawien nicht viel wissen will, keine Alternative zum Nato-Krieg aufzeigen kann und daher zum Scheitern verurteilt ist, macht Wetzel hier eher unfreiwillig klar. Die Selbstbeschränkung auf Antifaschismus konnte keine wirkungsvolle Opposition gegen die neue NATO-Kriegsführung (Bosnien 1995, Kosovo / JU 1999) etablieren, weil es die eigne Sicht auf einen nationalstaatlichen Tunnelblick reduzierte.

Dass der linke Internationalismus-Ansatz nach der Proklamation des ›4. Reichs‹ keine glaubwürdige Interpretationsfolie der jugoslawischen Sezessionskriege abgeben konnte, verwundert nicht. Denn das Neue dieser Kriege besteht eben darin, dass sie nicht in den Mustern klassischer Kriege (Heer gegen Heer) oder dem der nationalen Befreiungskriege (Partisanen gegen Heer) der postkolonialen Ära beschrieben werden kann. Die Kriegshandlungen im ehemaligen Jugoslawien richteten sich hauptsächlich gegen die Zivilbevölkerung der jeweils anderen, ethnifizierten Seite und schlossen so eine internationale Solidarisierung mit welcher Seite auch immer aus. Kurz, im Kosovo-Krieg gab’s für die Antikriegslinke nichts zu gewinnen außer der nicht zu unterschätzenden Einsicht, dass Deutschland als Hauptwiderspruch und Ersatz für ein politisches Projekt nicht funktioniert.

Elfter Neunter: Der Antiimperialismus -auch der kritische – ist nicht mehr zu retten

Der Zeitsprung zu den folgenreichen Terroranschlägen vom Elften Neunten zeigt, dass auch Wetzel seine Lehren aus der Kosovo-Niederlage gezogen hat. Er tauscht den nationalen Tunnelblick gegen den eines kritischen Antiimperialismus ein.

Wetzels Zweifel am Antiimperialismus deuten sich in einer defensiven Haltung gegenüber dem antideutschen Diskussionscluster an. Dieser habe die Kritiken am Pazifismus und linken Antiamerikanismus, wie die Kritik an ökonomistischen und antisemitischen Antiimperialismen der eigenen Konzeption entwendet. »Sie haben diese aufgegriffen und zueinander in Beziehung gesetzt und damit ihren Anteil, dass bestimmte linke Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt, neu gedacht und in eine andere Praxis umgesetzt werden müssen.« Indem er die feindliche Übernahme linker Selbstverständlichkeiten durch ›die Antideutschen‹ und nicht die antiimperialistischen Kategorien selbst als Grund für ihre Infragestellung ausmacht, kann Wetzel ihnen weiter treu bleiben. Das muss umso mehr erstaunen, als er selbst zeigt, dass die Antiimpmaschine ächzt und kracht.

So arbeitet er recht überzeugend anhand der »David/Goliath-Schablone« im Israel / Palästina-Konflikt heraus, dass antideutsche Argumentationen nicht nur linksradikale Kritiken am Antiimperialismus beerbt haben, sondern sich ebenso in dessen Opferaxiomatik bewegen: Nachdem deutsche Linke bis 1967 kritiklos mit Israel solidarisch waren, schwenkten die Sympathien danach auf die ›Opfer der Opfer‹ um. Womit antideutsche Identifizierungen mit Israel »die Opferlogik nur um einen Salto rückwärts verlängern«, statt sie zu durchbrechen. Wetzel trifft damit den neuralgischen Punkt des traditionellen Linksradikalismus: In der simplifizierenden Dualität von Herrschaft und Unterworfenheit ist Politik nur als Schlacht souveräner Akteure denkbar. Den Bruch mit diesem Souveränismus fordert Wetzel praktisch ein, indem er politisch auf den Kurs des linken Spektrums der organisierten Friedensbewegung einschwenkt. Dieser besteht in einer langfristig angelegten Unterstützung jener subpolitischen Gruppen auf beiden Seiten, die sich der militärischen wie nationalistisch-religiösen Logik widersetzten.

Die Konsequenzen dieser Kritik am Antiimperialismus nehmen bei Wetzel aber eine andere Wendung: »Mit der Unmöglichkeit, sich mit den ›Opfern imperialistischer Aggression‹ zu identifizieren«, mit dem Verschwinden sozialrevolutionärer Befreiungsbewegungen sei auch der Antiimperialismus selbst verschwunden. Für Wetzel kein Grund, (Anti-)Imperialismus als zentrales Erklärungsmuster der Welt zu überwinden. An die Stelle der Opferidentifikation müsse der eigene Widerstand gegen die hiesigen Verhältnisse gesetzt werden. Mit diesem klassischen autonomen Argument gegen die Antiimps der 80er wird mit anderen Worten die David-Perspektive mit der eigenen Subjektivität aufrecht gehalten. Was Wetzel praktisch für den Nahostkonflikt formuliert, theoretisch jedoch nicht weiterdenkt, ist der Bruch mit dem souveränistischen Dualismus aus Staat und der Externalität des Widerstands gegen ihn (vgl. no spoon in: diskus Nr. 1 / 02).

Dirk Kretschmer

*.*Autonome L. U. P. U. S.-Gruppe: »Nie wieder Krieg!« (1948) – »Nie wieder Srebrenica?« (1995). In: diskus Nr. 1 / 99.

Dirk Kretschmer: Die Last der Krieger. Über den rot-grünen Kriegshumanismus und die (Un-)Möglichkeiten eines bewegten Antimilitarismus. In: diskus Nr.1 / 99.

no spoon: agent_smith service pack. Politik an der Grenze zum Empire II. In: diskus Nr. 1 / 02.

Wolf Wetzel: Krieg ist Frieden. Über Bagdad, Srebrenica, Genua, Kabul nach …, Unrast Verlag, Münster 2002. 228 Seiten, 14 Euro.