Rezension: Dead Men Working: das neue Buch für ambitionierte FaulenzerInnen

UNRAST VERLAG Pressestimmen Rezension: Dead Men Working: das neue Buch für ambitionierte FaulenzerInnen

Augustin, Straßenzeitung Wien, November 2/04

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Ausgabe 149 – 11 / 2004

Dead Men Working: das neue Buch für ambitionierte FaulenzerInnen

Die mächtigste Kirche der Welt

Dürfen wir Sie zu einem Seitensprung ins Psychoanalytische verlocken? In einer Kultur, in der Arbeit derart positiv besetzt ist wie in der unseren, lassen sich die Folgen eines Arbeitsplatzverlustes etwa mit denen der Auflösung einer Liebesbeziehung vergleichen. Arbeit wie Beziehungspartner waren vor der Trennung Objekte libidinöser Besetzung. Im Falle der Liebesbeziehung ist das Subjekt nun bestrebt, das Objekt aufzugeben, um Selbstbewusstsein wiederzuerlangen und sich auf sein Leben konzentrieren zu können.

In der Situation der Arbeitslosigkeit würde das bedeuten, sich endgültig mit dem Zustand der Nicht-Arbeit abzufinden oder bewusst auszusteigen. Gerade das entspricht aber weder den Interessen der meisten Arbeitslosen noch der gesellschaftlichen Erwartungshaltung. Deshalb bleibt der Arbeitslose in der Regel negativ auf Arbeit bezogen und ist mit all den Konsequenzen konfrontiert, die eine misslungene Trauer- und Loslösungsarbeit nach sich ziehen: Ich-Schwäche, Depression, Unterwürfigkeit, gesellschaftliche (Selbst-)Isolation. Der Arbeitslose hat sich schuldig zu fühlen dafür, „auf Kosten der Allgemeinheit“ alimentiert zu werden – darauf laufen z. B. alle AMS-Maßnahmen hinaus.

Im heuer bei UNRAST erschienenen Buch „Dead Men Working“ lädt uns der Beitrag des Freiburger Soziologen Holger Schatz zu diesem Ausflug ins Psychoanalytische ein; er beruft sich bei dem Arbeit-Liebe-Vergleich auf die Psychoanalytikerin Christine Morgenroth. Wie aus einer Institution, die dem Namen und der Selbstdarstellung nach ein Service, eine Hilfestellung für Arbeitslose bieten müsste, de facto ein System zur Herstellung von Schuldkomplexen geworden ist, eine große Krankmacherin, veranschaulichten die Texte von Betroffenen, die sich in den jüngsten Augustin-Ausgaben unter dem Titel „AMS – die Zentrale des Kafkaesken“ ansammelten. Dabei könnten sich die „Schuldigen“ spielerisch entlasten: Der offiziellen Arbeitsmarktverwaltung als Apparat zur Erzeugung unglücklicher Arbeitsloser könnten sie etwa eine Bewegung nach Art der Glücklichen Arbeitslosen entgegensetzen. Doch diese Berliner Initiative hat in Wien bislang kein Pendant gefunden (obwohl sich der Augustin gelegentlich bemüht, das Konzept der Berliner Zeitgauner und Müßiggangster zu popularisieren).

Gebrauchsanweisung ohne Handlungsanleitung

„Wir geben die Taktik des Nichts-Tuns an die weiter, die wegen ihres Nichts-Tuns depressiv waren: indem wir nichts tun und darüber reden. Wir geben die Jahrhunderte alten Weisheiten der Kampfkunst an die nächste Generation weiter. Wir schärfen den kämpferischen Geist, indem wir sanft sind. Nur wer sich im Gegner vollständig aufzulösen vermag, kennt dessen Schwäche und kann ihn zerschlagen. Gelassenheit macht unerschütterlich. Eine bestimmte chinesische Kampfart beruhe auf zwei Prinzipien: dem Nichts-Tun und der Ausnutzung der Fehler des Gegners. Es gäbe nichts, was das Nichts-Tun nicht könnte. Wir laden die Menschen ein, den Beschäftigungswahn ihrer Zeitgenossen zu beobachten. Wenn Untertanen sich öffentlich zum Nichts-Tun bekennen, beginnen sie zu stören. Aber es müssen viele sein, wenn sie nichts tuend das System untergraben wollen“, so formulierte ein Sprecher der Glücklichen Arbeitslosen die Philosophie der Gruppe.

Im Buch „Dead Men WorkIng“ wird auf Beispiele praktischer, aktivistischer, spaßguerillamäßiger, aber durchaus theoretisch fundierter Kritik an der allgemeinen Religion der Arbeit nicht eingegangen. Im Gegenteil: Solche Anti-Arbeits-Bewegungen werden ziemlich ignoriert. Mitherausgeber Ernst Lohoff, Soziologe aus Nürnberg, Mitbegründer der Theoriezeitschrift „Krisis“, wagt in seinem Textbeitrag sogar die Behauptung: „Die konsequente Kritik von Arbeit und Warenform existiert heute nur als theoretischer Ansatz.“ Das klingt ein wenig nach „Was konsequente Kritik ist, entscheide i c h !“, ein wenig nach intellektuellem Dünkel. Dass die tatsächlich existierenden Beispiele lebendiger Praxis von Arbeitsverweigerern oder konsequenter Kritiker des Arbeitsethos den hohen Ansprüchen Lohoffs nicht genügen, mag respektiert werden, aber dass im gesamten Buch die ermunternden Bewegungsvorbilder fehlen, ist schade; das Buch hätte andernfalls dem Untertitel „Gebrauchsanweisungen zur Arbeitskritik“ gerechter werden können. Das einzige Kapitel, das mit Sympathie eine Widerstandsbewegung porträtiert, nämlich die Praxis der argentinischen Fabriksbesetzungen, ist eigentlich ein Statement für die Arbeit, das sich in ein Buch gegen die Arbeit verirrt bzw. hineingeschwindelt hat. Es werden AktivistInnen zitiert, die ihren wieder gewonnenen Stolz, ihre Würde daraus beziehen, dass sie nun zeigen können, „dass die Arbeiter die Produktion selbst organisieren können“.

Verfolgungsbetreuung statt „Hilfe zur Selbsthilfe“

Die Stärke des Buches liegt darin, dass es zur Renaissance der konsequenten Gesellschaftskritik beiträgt und dass seine AutorInnen die kapitalistische Ordnung als Ganzes angreifen, wobei sie den Terminus „Arbeitskirche“ vorschlagen, um die Diktatur der Ökonomie über die Gesellschaft zu beschreiben, aber auch die Bereitschaft der Menschen, diese „Religion“ – weil Widerstand unbequem ist – zu verinnerlichen. Aus dieser Sicht können übrigens den AMS-Verantwortlichen mildernde Umstände angerechnet werden. Wenn Mitherausgeberin Maria Wölflingseder ihre AMS-Erlebnisse (als „überqualifizierte“ arbeitslose Geisteswissenschaftlerin) schildert oder wenn im Augustin über schikanöses Verhalten von AMS-„Betreuern“ berichtet wird, muss den Lesenden bewusst sein, dass die beamteten Arbeitsmarktverwalter im Auftrag der Politik und ihres Zuhälters, der Wirtschaft, exakt so funktionieren müssen, wie sie funktionieren.

Nicht nur das Arbeitsamt, sondern leider auch Einrichtungen der Sozialarbeit werden zunehmend in das „arbeitskirchliche“ Gesamtsystem integriert. AugustinleserInnen wird der Inhalt jenes Kapitels in „Dead Men Working“ vertraut vorkommen, in dem der Marburger Soziologe Frank Rentschler die „Verfolgungsbetreuung“ skizziert, die zunehmend das frühere sozialarbeiterische Konzept der „Hilfe zur Selbsthilfe“ ablöst. Der Terminus „Verfolgungsbetreuung“ drückt die verschärfte Praxis der Arbeitsmarktverwaltung aus, die „Betreuten“ mit dem Entzug der Arbeitslosenhilfe zu bestrafen, wenn sie die Vorgaben der „Betreuer“ nicht erfüllen, aber auch die Praxis der sozialen Arbeit in manchen so genannten sozialökonomischen Betrieben, in denen betreuten „TransitarbeiterInnen“ Arbeitsdisziplin beigebracht wird, die durch einen möglichen Aufstieg in den „regulären Arbeitsmarkt“ belohnt werde. Die Betroffenen lassen sich meist vergeblich disziplinieren. Denn der „reguläre Arbeitsmarkt“ holt sich seine Sklaven lieber aus den länger werdenden Warteschlanken jener, die in höherem Ausmaß „jobready“ und fit sind als die (oft durch Suchtprobleme beeinträchtigten) KlientInnen der subventionierten Als-ob-Werkstätten. SozialarbeiterInnen, die resistent sind gegen das neue Leitbild, das ein Fitmachen für die raue Arbeitswelt als oberstes Ziel sozialer Arbeit vorschreibt, ist das Buch als Argumentationshilfe zu empfehlen.

Robert Sommer

Dead Men Working. Herausgeber: Maria Wölflingseder und andere. UNRAST Verlag, Münster

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