Pathos und Poesie

UNRAST VERLAG Pressestimmen Pathos und Poesie

Rezension von Andreas Folkers, diskus 2/07

‘Der griechische Philosoph Aristoteles hat einmal irgendwo gesagt, es gebe drei Stile der Rede (pragmata, ethos, pathos). Wenn das so ist, lassen sich die häufigsten Tonarten, die zum Reden über den Kommunismus angeschlagen werden, den beiden ersteren Registern zuordnen, die für einen Text, dem es darauf nicht ankommt, mit »faktisches und moralisches Sprechen« übersetzbar sind. »Der Kommunismus hat nicht funktioniert.—Ja aber er sollte die Menschen doch gerade vom blinden Funktionalismus befreien….« Unerquicklich ist dieser Dialog, weil beide aneinander vorbei reden und es so noch nicht einmal zu einem Dissens kommt. Interessant wird es erst, richtet man den Blick auf das, was dieses Aneinandervorbei nebenbei eingrenzt ohne sich dabei zu treffen oder zu vereinen: es ist der Raum des Unwirklichen, in den beide den Kommunismus hineinsprechen und dessen sich beide bedienen, um sich ihrer eigenen Realität im Hier und Jetzt umso sicherer sein zu können, um sich den Kommunismus vom Leib zu halten, weil er – von konservativer Seite – immer noch gefürchtet wird und den Linken, gerade solchen die sich Kommunist_innen nennen, noch mehr Angst bereitet, weil es diesen vergangenen Kommunismus eben doch gegeben hat.

Das Pathos schlägt einen anderen Weg ein, es spricht zu den Leidenschaften und schafft dem Kommunismus damit eine Wirklichkeit, die nicht als gute Idee, die schlecht umgesetzt wurde, ein in der Tat jämmerliches Dasein fristet. Es schafft dadurch eine »Wirklichkeit«, die man vielleicht sogar gespenstisch nennen darf. Schließlich – so hat uns die Autorin im vorherigen Buch beigebracht – ist es von entscheidender Bedeutung, den Kommunismus zu wünschen, bevor man sich überhaupt Gedanken über dessen Machbarkeit oder Richtigkeit machen kann. Der Raum der Irrealität, in den der Kommunismus gesperrt wird, entsteht demnach als Melancholieeffekt, die ihrerseits ausgelöst ist durch den verstorbenen und unbetrauerbaren Verlust des Kommunismus als Wirklichkeit und Möglichkeit.

»Die Schwierigkeit Gefühle zu beschreiben ohne pathetisch also übertrieben, falsch zu wirken, verweist auf eine historische Konstellation, in der die Ohnmacht so mächtig ins Subjekt eingedrungen ist, dass sich allzu viel Träumerei nicht mehr so gut vertragen lässt.«(Adamczak, Kommunismusdiskus)

Deshalb zurück zu einer Zeit, in der das noch anders war. Deshalb zurück und von dort aus zurück, um auszumachen, wieso das leidenschaftliche Versprechen des Kommunismus heute so schmerzhaft erlebt wird. Das Buch beginnt mit der Schilderung einer Deportation deutscher Antifaschtinnen aus der Sowjetunion nach Deutschland – schrecklicher Inhalt dessen, was wir einst in der Schule als Hitler-Stalin-Pakt kennen gelernt haben. So geht es auch mit dem großen Terror, den Schauprozessen, der Niederschlagung des Kronstädter Sowjets, die uns von denjenigen Kommunist_innen, die bei der Fortschrittsfahrt der bolschewistischen Lokomotive auf der Strecke geblieben sind, berichtet wird. Sie erzählen uns diese Geschichte als erlittene Geschichte, nicht als historischen Faktenbericht.
Müssen wir also doch eine Leidensgeschichte erwarten von Personen, deren Leiden ihre moralische Integrität beweist? Wird das Pathos nur beschworen, um daraus ein Ethos zu machen? Keineswegs. Denn das Erleiden der Geschichte des Kommunismus wird radikaler inszeniert, indem es die Dichotomie von leidendem Objekt und Leid zufügendem Subjekt – zumindest ein Stück weit – suspendiert.

»Der Terror erreicht seinen Gipfel, wenn der Polizeistaat beginnt, seine eigenen Kinder zu verschlingen, und dem Henker von Gestern morgen die Rolle des Opfers zugeteilt wird« (Hannah Arendt)

Die Erzählung präsentiert sich nicht als Heiligengeschichte. Ein Genre, derer sich bekanntlich auch Kommunist_innen bedienen, wenn sie die alten Lieder anstimmen. Die über Che-Jesus oder Rosa D`Arc, deren Reinheit durch den Tod für die gute Sache verbürgt wird. Es kommt bei den Personen bzw. Gespenstern aus »Gestern Morgen« nicht darauf an, dass sie besonders gut waren, dass sie besonders hehre Ideale hatten, im Dienste einer allgemein menschlichen Mission agierten, sondern schlicht und einfach darum, dass sie dieselben Wünsche und Hoffnungen hatten, denselben Kampf geführt haben wie die, von denen sie letztlich verfolgt, deportiert oder umgebracht wurden, ja die noch – wie bei den Schauprozessen – im Moment ihrer Ermordung die gleichen Intentionen hatten wie ihre Henker (also Subjekt-Objekt der Geschichte waren), kurz: es kommt darauf an, dass es sich um Kommunist_innen handelte. Schmerzhaft ist das für alle, die sich noch heute oder zumindest beim Lesen des Buches vom kommunistischen Versprechen adressiert fühlen, das, als eine der Hauptintentionen dieses Buches, an vielen Stellen überhaupt erst wieder freigelegt wird. Schmerzhaft und furchteinflößend, weil der moralische Raum des gefahrenlosen Kommunismus ebenso versperrt ist wie der der pragmatischen Ratschläge, durch die der Kommunismus doch noch hätte gelingen können. Das Lesen verlangt einem Empathie ab, durch die man sich selbst als Teil einer Hoffnung, eines Wunsches, einer Praxis des Kommunismus erkennen kann, die problematisch ist. Eine Empathie, die die Autorin sicherlich investiert, wodurch sie sich in einige notwendige Widersprüche verwickelt.
Wenn man dieses Buch nämlich – was ausreichend naheliegt – als Fortsetzung oder Ergänzung des wundervollen Kommunismus-für-Kinder-Büchleins liest, dann kann leicht das Missverständnis aufkommen, es handle sich um eine nachgereichte Gebrauchsanweisung, die über Risiken und Nebenwirkungen informiert. Das ist zwar einerseits der Fall, andererseits ist es aber genauso eine Fortsetzung zur Formulierung einer materialistischen Wunschpolitik, wie im ersten Buch entwickelt. Diese geht davon aus, dass der historische Stand der Kräfteverhältnisse den Rahmen dessen beschränkt bzw. vorgibt, was wünschbar ist, und umgekehrt die Wünsche und Begierden diese Kräfteverhältnisse beeinflussen. In einer historischen Situation, in der die Verhältnisse auf Grund der Abwesenheit einer breiten kommunistischen Bewegung keinerlei Risse aufzuweisen scheinen, die ernsthaft den Kommunismus antizipieren könnten, wird ein transgressives kommunistisches Begehren, sofern es überhaupt noch auftritt, zur schmerzhaften Qual. Bestand die Lösung im Kinderbuch vor allem in der Simulation, also der Konstruktion eines kommunistischen Begehrens, für das die architektonische Tätigkeit das Vorbild abgab, so handelt es sich nunmehr um eine primär archäologische Bemühung, kommunistische Wünsche zu bergen – was sich vielleicht als rettende Kritik bezeichnen ließe. Gleichzeitig wird dadurch die an einer nicht-normativistischen Psychoanalyse geschulte Wunschtheorie um ein Element reicher. Nicht nur die mangelnde Gegenwart von Möglichkeiten der Verwirklichung des Kommunismus, auch ein vergangenes Trauma strukturiert die momentane Un/möglichkeit kommunistischer Wünsche. Erst eine Bewusstwerdung dieses Traumas, erst das Durcharbeiten des stalinistischen Terrors würde demnach die Möglichkeit ergeben, sich wieder den Kommunismus, jenseits all der metonomysierender Formeln wie: das gute Leben, radikale Demokratie, schönes Leben, vernünftig eingerichtete Welt etc. zu wünschen. Nun ist diese Vorstellung in zweierlei Hinsicht problematisch: Zunächst, weil es natürlich nicht möglich ist, den stalinistischen Terror so einfach zu verarbeiten wie eine dieser psychologischen Bagatellen, wegen derer wir uns auf die Analysecoach setzen. Zum anderen durch die Unterstellung, der Kommunismus sei in irgendeiner Weise wünschenswert, obwohl doch ganz offensichtlich kaum noch jemand Interesse daran hat. Gerade hier befindet sich die Autorin mitten im Strudel einer grundlegenden Problematik kommunistischer Politik, die sich z.B. in der Reflexion des Verhältnisses von Partei und Proletariat bzw. Kommunist_innen und Klasse zeigt. Das Proletariat wird ja bekanntlich erst dadurch zum revolutionären Subjekt, dass es sich in seiner Rolle als revolutionäres Subjekt erkennt, was möglicherweise heißt – der Leninist Zizek hat kürzlich in Anspielung auf das berühmte Gedicht von Brecht zum 17.Juni darauf hingewiesen – dass die Partei tatsächlich ihr eigenes »Volk« wählen muss. Das gehört aber zweifellos zum Abschreckendsten, was die marxistische Theorie zu bieten hat. Trotzdem präsentiert uns Adamczack als Grund für dieses Buch etwas, das eine gewisse Nähe zu derartigen Vorstellungen nicht verbergen kann: »Die Apologetik des Bestehenden gründet nicht auf Freude über das Wirkliche, sondern auf verdrängter Trauer um das Mögliche, nicht auf Angst um das Erreichte, sondern auf Furcht vor dem Erreichbaren. Deswegen dieses Buch« (S. 79) Wir sollen uns den Kommunismus also wünschen und wenn wir uns ihn nicht wünschen, tun wir das nur, weil wir seine Möglichkeit verdrängt haben, weil wir nicht bereit sind, uns mit seinem Trauma zu beschäftigen. Es fällt nicht schwer, hinter derartigen Argumentationen einen Funken der schrecklichen stalinistische Dialektik zu erblicken, die im Buch an etlichen Stellen so brutal beschrieben wird: »Wenn du die Partei verraten hast, dann hast du doch eigentlich dich selbst verraten, deshalb kannst du doch nur wollen bestraft zu werden.—Das was wir jetzt machen, wird sich erst dann als richtig erweisen können, wenn die kommunistische Revolution die allgegenwärtige Entfremdung beseitigt haben wird.« Trotzdem (oder gerade deshalb?) können wir hier ebenso das große emanzipatorische Versprechen erkennen, das sowohl von Teilen der republikanischen, gewiss der kommunistischen und auch der radikal subjektkritischen Bewegung gemacht wurde: anders sein zu können, gar nicht mal zu werden als Entwicklung dessen, was man immer schon war (die stalinistische teleo-genetische Subjektphilosophie), sondern als Wiederholung dessen, was noch nie gewesen ist. Ein Versprechen, das jedes Mal ein Stück wahr wird, wenn unsere Gewissheiten in Frage gestellt wurden, wir uns aber freudig die Frage gefallen lassen: Das soll ich sein?
Wenn die Linke dieses Buch lesen sollte, dann nicht, um eine genaue, solide oder gar erschöpfende Darstellung des Sowjetkommunismus zu bekommen. Auch sollte – wenngleich näherliegend – keine Ethik der Revolution erwartet werden. Wo es darum ginge, werden immer eher Aporien oder – eine besondere Spezialität der Autorin –Aposiopesen aufgemacht, als Lösungen angeboten. Viel eher kriegen wir eine Ahnung davon, was wir alles in den Kommunismus investieren müssen, um diesen zu erschaffen. Wir erfahren – und das ist das Neue im Verhältnis zum ersten Buch – wie traurig man sein muss, um Petrograd wiederaufzuwecken, dass wir also nicht nur ein kommunistisches Begehren brauchen, sondern vor allem eine kommunistische Leidenschaft, so dass aus Pathos Poesie wird.’

Andreas Folkers, diskus 2/07