Holger Schatz beschreibt die Sozialreformen als verbissene Leugnung des Zufalls.
von Sarah Martens
Zur Last des Scheiterns gesellt sich meist auch noch der Vorwurf, es selbst verschuldet zu haben. So gesehen hat für manch Arbeitlosen der Besuch von Woody Allens ‘Match Point’ derzeit sicher etwas Tröstliches. Ein verstörender Film über die Hoheit des Zufalls, der am Ende sogar einen Mord ungesühnt lässt. Weil der Zufall zuvor im Film aber auch der Welt von Geld und Arbeit seinen Rhythmus aufzwingt, denkt man daran, einer plumpen Widerlegung des Leistungsprinzips beizuwohnen, jener bürgerlichen Hoffnung und Behauptung zugleich, ein jeder sei seines eigenen Glückes Schmied. Rechtzeitig jedoch – auf seine steile Berufskarriere angesprochen – liefert der Hauptprotagonist eine präzise Definition von Erfolg: Es komme durchaus auf Leistung an, doch nur im Sinne einer notwendigen Bedingung. Die hinreichende Bedingung für den Erfolg obliege dem Zufall.
Das Unverständnis, das er mit dieser Sicht erntet, lässt im Film die Frage aufkommen, was der Zufall eigentlich für die Integration einer Gesellschaft bedeutet¸ deren Selbstverständnis unabdingbar die Möglichkeit eigenverantwortlich planbarer Lebensentwürfe voraussetzt.
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Massenarbeitslosigkeitsdiskurses und seiner repressiven Schlagseite lädt uns die Dissertation ‘Arbeit als Herrschaft’ des Soziologen Holger Schatz ein, dieser Frage einmal grundlegend nachzugehen. Nun, Dekonstruktionen des Zusammenhanges von Leistung (Arbeit) und Erfolg (Geld) sind weder neu noch der Kapitalismuskritik reserviert. Vom liberalen Philosophen John Rawls ebenso wie vom glühenden Vertreter der entfesselten Markwirtschaft August Friedrich von Hayek, stammen ernüchternde Beschreibungen der Bedingungen des Markterfolges. Für beide war dieser innere Widerspruch grundsätzlich jedoch zähmbar; der eine glaubte an die zivilisierende Kraft des Sozialstaates, der andere an jene des Marktes. Bei Schatz hat sich jedoch die strukturelle Aporie des Leistungsprinzips zu dessen Krise verdichtet, die aber im Rahmen eines ‘gesamtgesellschaftlichen Verblendungszusammenhanges’ geleugnet werden muss. Zumindest solange an einer derart unvernünftigen und desaströsen Form der Reichtumserzeugung und -verteilung festgehalten werden soll, wie sie der Kapitalismus in den Augen von Schatz darstellt. Auf diesen Voraussetzungen – die grundlegende Bedeutung des Leistungsprinzips einerseits sowie dessen Zerfall andererseits – baut nun die eigentliche These der Untersuchung auf: die einer ‘neoliberalen Rekonstruktion des Leistungsprinzips’. Damit ist nichts anderes gemeint, als dass der neoliberale Diskurs im Allgemeinen und der Untersuchungsgegenstand ‘aktivierende Arbeitsmarktpolitik’ im Besonderen Reaktionen auf diese Krise darstellen. Mit dieser spekulativ anmutenden These grenzt sich Schatz bewusst von Ansätzen ab, welche die Reformpolitik einzig unter Kostenaspekten analysieren. Doch warum sollte es um mehr gehen als um Kassensanierung oder verschärfte Umverteilung von unten nach oben?
Nach einigen, teilweise langatmigen Theorieausflügen, welche die begrifflichen Voraussetzungen der Analyse (und Kritik!) des Leistungsprinzips schärfen sollen, zeichnet Schatz zunächst dessen geschichtliche Bedeutung nach. Nachdem das aufstrebende Bürgertum den Adel des leistungslosen Einkommens bezichtigt hatte, nutzte auch die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts die normative Kraft des Leistungsprinzips, um die neu entstandenen Ungleichheiten zwischen Industrieproletariat und Besitzbürgertum zu kritisieren: ‘Mit der frühsozialistischen Eigentumskritik kristallisierte sich ein Argumentationsmuster heraus, das bis heute auf überaus wirksame Weise stets das meritokratische Prinzip (Leistungsprinzip, S.M.) neu legitimiert: die Kritik an der Kluft zwischen bürgerlichem Ideal und seiner unzulänglichen Verwirklichung’.
Aus verschiedenen Gründen kommt es nun ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Zuspitzung der inneren Widersprüche des Leistungsprinzips. Entscheidend hierfür ist die Dynamik des Kapitalverhältnisses, das strukturell die Entkoppelung des Ergebnisses (stofflicher Reichtum) von der Leistung (Arbeit) betreibt. Für das Kapital ist die Arbeit nur das Mittel und nicht schon der Zweck, was die Einspaarung von Arbeitsplätzen durch permanente Produktivitätssteigerungen zur Folge hat. Was nach träger Ökonomietheorie riecht, wird von Schatz nun interessanterweise mit kulturellen Phänomenen zusammengebracht. Wie dereinst Daniel Bell in ‘Die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus’ sieht Schatz die Aufweichung der Arbeitsdisziplin nicht nur im Eigensinn der Menschen, sondern in der Logik des Kapitalismus selbst begründet. Diese legt nämlich nicht Arbeit, sondern Konsum, schnellen Erfolg unter Anwendung von möglichst wenig Arbeit nahe.
Die neuere Dynamik des Kapitalverhältnisses unterminiert nun das Leistungsprinzip nicht nur durch die immer deutlichere Abkoppelung des Reichtums von der Arbeit, wofür Arbeitslosigkeit, die wachsende Bedeutung von Erbschaften sowie des Kapitalmarktes symptomatisch stehen. Mit Marx weist Schatz auf den gesellschaftlichen Charakter von Arbeit hin, der in Zeiten einer zunehmenden Verwissenschaftlichung der Produktion des Reichtums immer schärfer im Kontrast zur Vorstellung individuell zurechenbarer Arbeitsleistung stehe. In räumlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht hat sich die Produktion des Reichtums verflüssigt und damit entindividualisiert, und manchmal trifft dies sogar auch auf dessen Aneignung und Verteilung zu, wie das Beispiel der digitalen ‘Piraterie’ gut belegt.
Nur vor diesem Hintergrund lasse sich die ‘neoliberale Reform’ adäquat erfassen. Schatz charakterisiert sie als den Versuch, die Geister, die der Kapitalismus fortwährend ruft, zu bändigen. Das Mittel hierzu ist in erster Linie eine umfassende ‘Rekommodifizierung’ bzw. Vermarktlichung des gesellschaftlichen Lebens, mit der das Leistungsprinzip auf Biegen und Brechen ‘rekonstruiert’ werden soll. Im vielleicht stärksten Kapitel des Buches zeigt Schatz am Beispiel der Hartz-Gesetze in Deutschland, auf welch vielfältige Weise gesellschaftliche Debatten und konkrete Gesetze in Richtung dieser Rekonstruktion wirken. Auf der einen Seite sind es die üblichen Schuldzuweisungen der Faulheit, aber auch die gut gemeinten Hinweise auf Bildungs- und Qualifizierungsdefizite von Arbeitslosen. Stets wird die Ursache der Arbeitslosigkeit positivistisch mit den Merkmalen der Individuen verknüpft, ganz gleich, ob diese als Täter oder als Opfer etwa von institutionellen Verkrustungen erscheinen. Auf der anderen Seite ist es die Rehabilitation des Marktpreises als eines gerechten Lohnkriteriums, die sich in vielen Arbeitsverhältnissen als zunehmende Koppelung der Leistungsbewertung mit Marktergebnissen zeige. Hier hätte Schatz weitaus mehr ausholen können, etwa indem er die Debatten der Industriesoziologie ausführlicher aufgegriffen hätte.
Gleichwohl überzeugt die Argumentation in ihrer radikalen Zuspitzung: Jeder habe das Urteil zu akzeptieren, das der Markt ausspricht. Dies ist die autoritäre Quintessenz der ‘Reform’, die freilich Übergänge benötigt. Zu denken ist etwa an den Kombilohn, das ‘trojanische Pferd’ für einen marktinduzierten Niedriglohnsektor, wie ihn der frühere Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans-Jörg Stihl, einmal nannte. Nun ließe sich einwenden, einer derart dünnen Rekonstruktion seien politische, kulturelle und soziale Grenzen gesetzt. Weil Schatz den Begriff ‘neoliberal’ jedoch wesentlich weiter fasst als üblich, wird klar weshalb die ‘Quadratur des Kreises’ verblüffende Erfolge zeitigt. Eine bis weit in die politische Linke hineinreichende Diskursverschiebung hin zu einem auf Freiheits- und Autonomiechancen abstellenden Marktbegriff, spiele der Vorstellung individuell zurechenbarer Leistung in die Hände. Düstere Aussichten für jene also, die den Arbeitsmarkt doch eher als ein soziales Zwangsverhältnis erleben müssen.’
zuerst erschienen in: express. zeitung für sozialistische betriebs- und gewerkschaftsarbeit, nr. 2/2006