A.G. Gender-Killer (Hg.): Antisemitismus und Geschlecht.
»Die Kritik am Antisemitismus von links hat sich in den letzten Jahren auf die Unterscheidung von anderen Formen des Rassismus konzentriert. Dabei wurden jedoch die Gemeinsamkeiten vernachlässigt, wozu gehört, daß ‘Juden’ in antisemitischen Bildern auch einen Körper ‘ und damit auch ein Geschlecht ‘ haben. Die Produktion dieser antisemitischen Bilder im Zusammenhang mit den herrschenden Geschlechterordnungen zu zeigen, ist das Anliegen der A. G. Gender-Killer. Nicht nur die Stereotypen vom ‘jüdischen Mädchenhändler’ oder ‘Finanzkapitalisten’ haben ein Geschlecht, sondern auch die ‘abstrakte jüdische Weltverschwörung’ verfügen in antisemitischen Darstellungen über einen Körper: als Spinne mit männlichem Gesicht, als Krake oder polymorphes Mischwesen. ‘Der Jude’/’Das Jüdische’ bedroht damit nicht nur die Vorherrschaft des deutschen Mannes, sondern unterwandert die Geschlechterordnung selbst. ‘Widernatürlichkeit’ ist ohnehin, so Meike Günther, eines der Wesensmerkmale antisemitischer Stereotype: Der Jude sei ‘feminisiert’, die Jüdin ‘entweiblicht’, die ‘jüdische Verschwörung’ ein unheimlicher, weltumspannender Riesenkrake, der die körperliche Reinheit der ‘arischen’ Frau beschmutzen und die Gesundheit der Körper zersetzen kann.
Der angebliche Angriff ‘der Juden’ richte sich, besonders im völkischen Antisemitismus, stets gegen den eigenen Körper, der Truppe, Partei oder des ‘Volkskörpers’. So handeln viele Beiträge auch von den Geschlechterbildern in der völkischen Ideologie. In diesem Zusammenhang kann Günther erklären, weshalb ‘die Jüdin’ aus dem antisemitischen Diskurs des 20. Jahrhunderts gewissermaßen herausfiel: Männer symbolisieren stets den Bereich des Politischen, in dem der ‘abstrakte Jude’ eine Gefahr darstellen sollte. Frauen hingegen galten immer als ‘notwendiger Teil des Naturbildes, wesenhaft nicht-männliche Körper’, und so wäre das Bild ‘der Jüdin’ zu einem Widerspruch in sich geworden, gleichzeitig Teil des angeblich widernatürlichen Jüdischen und der natürlichen Weiblichkeit. Das Stereotyp der schönen Jüdin, so Hildegard Frübis, finde sich heute an ganz anderer Stelle: Das Bild des unschuldigen jüdischen Mädchens Anne Frank wurde zum Sinnbild ‘einer ersten, unpolitisch gehaltenen Auseinandersetzung mit dem Holocaust, ohne diesen zu erwähnen’.
Zum Abschluß des Bandes versucht Bini Adamczak, anhand des Stichworts ‘Antiessentialisierung’ die Gemeinsamkeiten und Differenzen queerer und antideutscher Politik auszuloten. Ihr Ansatz ist vor allem lesenswert, weil sie den Zusammenhang von Antisemitismus und Geschlecht von der anderen Seite angeht, nämlich von kritischen Praxis. Was gerade deswegen in diesem Tagungsband fehlt, ist allerdings eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in der Linken.« – Olaf Kistenmacher, 5/2006